Freitag, 31. Juli 2009

peter harry, ulla und der rest

etwas nördlich von aachen rühmt sich das selfkant, der westlichste zipfel deutschlands zu sein. die menschen sprechen mit größter selbstverständlichkeit niederländisch und ob der besucher sich schon im vereinigten königreich oder noch der deutschen republik befindet verraten die autokennzeichen vor den häusern nicht. beim westzipfellauf im frühjahr in tüddern werden die starter zuerst auf platt/niederländisch und erst dann auf deutsch begrüßt. so ist der selfkant, so ist das dreiländereck, so ist aachen - selbstverständlich international; zum einkaufen nach holland, dann lecker fritten in belgien und zum abschluß ins kino zurück nach aix, pardon, aachen. da verschwimmen die grenzen und dann treffen wir uns eben auch mal in südspanien, so wie ulla schmidt und ihr chauffeur.

mag sein, dass diese grenznahe sozialisation die ministerin etwas zu robust hat werden lassen für den eleganten unterschied zwischen darf man und tut man aber nicht. wie auch immer – es war falsch und nun zahlt sie die zeche, schlimm für sie, schlimm für die spd und schön für peter harry carstensen.

für wen? gute frage! also, der mann ist in der cdu und ministerpräsident im interregnum in kiel. gerade hat ihm das parlament das misstrauen ausgesprochen; das hat ihn gefreut, denn nun hofft er - mit der landtagswahl zum bundestagswahltermin am 27. september - auf eine neue amtszeit im windschatten der kanzlerin. zum ersten mal schob sich peter harry carstensen im märz 2005 ins bewußtsein der menschen außerhalb von schleswig holstein. gerade hatte er heide simonis von der spd nicht besiegt sondern war dank einer kruden abrechnung innerhalb ihrer partei auf dem weg zur ministerpräsidentschaft, da drückte ein fotograf auf den auslöser. „sie hätte einen anderen abgang verdient“, diktierte er kollegen noch in die schreibblöcke, aber dieses foto sagte doch etwas anderes als jene sechs worte: carstensen im vordergrund rechts, hinter ihm eine sichtlich demoralisierte künftige ex-amtsinhaberin nach dem letzten wahlgang. das gesicht des cdu-politikers war verzerrt zur fiesen fratze der schadenfreude.

kein verstecken

ihn auf jene 125tel sekunde belichtungszeit zu reduzieren ist vielleicht nicht nett, aber dieses foto fällt mir eben zu carstensen ein; und dass das wort „leitkultur“ meine gedanken durchzuckte. ich fand das bild im intenet, legte es auf den pc-desktop und kommentierte es noch mit dem schriftzug „leit-kultur-hammel“, was ich damals wahnsinnig witzig fand. nach ein paar tagen wurde es mir zu blöd, der anblick war zu deprimierend. ich verschwurbelte die datei und vergaß schleswig-holstein.

nun aber drängt sich peter harry carstensen erneut ins bewußtsein, wieder auf unangenehme weise und diesmal gibt es kein verstecken hinter der realitäts-reduzierenden und verkürzend verfälschenden verschlußzeit einer kamera. mit seiner bonuszahlungslüge, über die und deren weiterungen der focus etwa in diesem artikel berichtet, hat er sich höchstselbst entblößt. vielleicht hat carstensen ja konservativ falsch verstanden und denkt bei brauchtum an barschel, engholm, pfeiffer oder roland koch. deren lügen indes hielten länger als seine. irgendwo las ich allerdings einen kommentar, der carstensen einen verblüffenden machtinstinkt nachsagte, sonst aber nix. mag ihm ja auch reichen, zu bleiben als kleiner macchiavelli von der förde, womit das fiese foto doch etwas ikonenhaftes bekäme.

da geht doch was!

aber immerhin – er wird wohl bleiben und damit sind wir nicht nur beim unterschied zur gesundheitsministerin. ulla schmidt ist mit konsequenzen konfrontiert, weil sie sich geschmacklos verhielt, peter harry carstensen hat gelogen und wird wahrscheinlich belohnt. die eine setzt debatten über politik, macht, verschwendung und realitätsverlust in gang, der andere löst ein achselzucken aus und keiner in der leitkultur-partei, der sich auch nur im ansatz öffentlich schämt oder über glaubwürdigkeit, ämter und verantwortung, personen und politikverständnis räsoniert. der casus carstensen wandert in die archive und die dienstwagen-dummheit überrollt die republik – beeindruckend.

seit 1988 übrigens, nach der barschel-affäre und engholms wahl, sank die beteiligung bei landtagswahlen in schleswig-holstein um über zehn prozent (quelle: konrad-adenauer-stiftung ). da geht doch noch was!

Montag, 27. Juli 2009

woanders lustiger

ab wann mensch in panik ausbricht ist individuell. sie ist aber dann, wenn die vernunft pause macht und archaische abteilungen des zentralen nervensystems die kontrolle übernehmen, auch nicht mehr beherrschbar, fight, flight, freeze - kampf, flucht oder starre, eine tatsächlich bescheidene auswahl die in der savanne vorzüglich funktionierte, angesichts moderner bedrohungen aber auch schwächen haben kann; sagen wir etwa bei der schweinegrippe.

nützliches auf den steiten des robert-koch-instituts

in der vergangenen woche gab es nicht nur viele berichte sondern auch echte neuigkeiten und neue fragestellungen: die zahl der fälle steigt rapide (täglich kamen allein in nordrhein-westfalen mindestens 200 hinzu; hier läuft wegen des frühen ferienbeginns die erste rückreiswelle; anzunehmen, dass es in anderen bundesländern bald ähnlich sein wird), die meisten der erkrankten kommen aus einigen urlaubsgebieten spaniens, werden dort wegen diffuser infekte oder atemwegserkrankungen behandelt (nicht aber - so die berichte der betroffenen übereinstimmend - auf neue grippe getestet; a/h1n1 wird erst dann labortechnisch festgestellt, wenn sich das deutsche gesundheitssystem der menschen annimmt), es gibt große unterschiede in der frage, wie wir dem virus begegnen sollen und ob die bislang moderaten kranheitsverläufe entweder durch a) dramatisch steigende fallzahlen oder b) eine veränderung des virus auch bei uns massenhaft infektionen mit dramatischem oder gar tödlichem verlauf generieren oder warum wir zwei milliarden euro für ein impfprogamm ausgeben wollen, das erst zu einem zeitpunkt beginnen kann, an dem der impfstoff möglichweise durch natürliche mutation des virus längst nicht mehr wirkt?

nur ein paar millionen?

prof. heiko schneitler wirkt seiner leibesfülle angemessen gelassen. doch war es der leiter des düsseldorfer gesundheitsamts, der sich für konsequente kontrolle etwa der rückreisenden aussprach, für sicherstellung der quarantäne und der unterbrechung des infektionswegs. mag sein, dass er seine aufgabe der gesundheitsvorsorge einfach zu ernst nimmt; aber es hat etwas sehr überzeugendes, wenn er von einem vermeidbaren risiko spricht, das wir eingehen, nur weil die nötigen schritte nicht gegangen werden; es macht nachdenklich, wenn er von todesfällen spricht, die nicht auftreten müßten, weil die zahl der erkrankungen niedrig bleiben könnte.

würden seine maßnahmen allerdings erfolg haben und würden kontrollen an flughäfen und busbahnhöfen funktionieren, wozu dann ein teures impfprogramm, wenn ein paar millionen euro, wie er vorrechnete, ausreichen. wer hat den nutzen, wer den schaden? ein volk von 80 millionen menschen, so sagte er im interview, sollte in der lage sein, mit der krankheit einiger tausend umgehen zu können. für mich klang das dann doch sehr gelassen.

kölsche katalanen

ein paar kilometer weiter südlich - köln. in der rheinischen metropole der südländischen lebensart halten es die verantwortlichen im gesundheitsamt mit dem katalanen: was ich nicht suche finde ich nicht. fieber, husten heiserkeit - das kann ja auch andere ursachen haben, die reisenden sollen nach hause und sich dort untersuchen lassen .

nun hatte ich immer schon den verdacht, dass der kölsche mensch in vaterstädtischer nibelungentreue auch gröbsten unfug mitmacht und sein selbstbild trotz fc, einstürzender altbauten und arglos geschaffener baulücken gegen alle vernunft verteidigt; so gesehen war es nicht anders zu erwarten, meine ich: bilder von gesundheitswächtern in schutzanzügen, die immer sonntags, gegen mittag, wenn die busse aus lloret oder sonstwo ankommen, braungebrannte jugendliche am großen parkplatz hinter dem hauptbahnhof untersuchen oder sogar separieren, die zahl der in köln festgestellten fälle hochtreiben - was sollen die leute bloss denken? das böse soll schnell weg, es ist ja nicht mehr weit zum regionalexpress - am liebsten nach westfalen (es mag zufall sein, aber in einem kleinen ort bei dorsten gab es 11 fälle von neuer grippe auf rund 5000 einwohner, in drei verdachtsfällen standen die testergebnisse noch aus. die erkrankten waren alle aus einem spanien-urlaub zurückgekehrt. immerhin mußte das schützenfest nicht abgesagt werden; der dortige hausarzt bekam die lage unter kontrolle. am telefon wirkte er angesichts meiner anfrage eher amüsiert als aufgeregt).

auf flughäfen oder grenznahen autobahnparkplätzen sehen menschen in overall und mit atemmaske sicher auch merkwürdig aus. vielleicht würde uns das zu sehr an "outbreak" erinnern und jeder sieht schon eine aerosolbombe über seinem viertel hereinschweben; und weil nicht an jedem funkgerät ein dustin hoffmann die rechten worte findet, um eine eigentlich befehlsgehorsame transall-besatzung davon zu überzeugen, die tödliche fracht woanders abzuwerfen... - nun, das thema war panik und da mischen sich neuzeit und savanne aufs kurioseste (wenn ich darüber nachdenke halte ich es nicht für unwahrscheinlich, dass auch kino- und fernsehfilme den eigentlich fürsorglichen akt der gesundheitsvorsorge in einen verstörenden, bedrohlichen gewandelt haben: "mama, mama, was machen die mit mir (flehend)?" - "bitte, officer, lassen sie mich zu meinem kind (verzweifelt, unter tränen)" - "mama (schon leiser)" - "treten sie zurück ma'am, (barsch, gedämpft, atemgeräusch unter gasmaske) sie können hier nicht durch, zurück" - "jason! (laut und im diskant)" oder so ähnlich).

viele, die sich freuen

nun sagt auch prof. heiko schneitler, dass die zeit knapp wird, in der diese maßnahmen noch erfolg haben können. lieber dann doch eine spritze - die ist bequemer und konsensfähiger; tendenziell freuen sich ja auch mehr darüber - pharma-industrie und ärzte über unerwarteten umsatz, gesundheitspolitiker über den großen verantwortungsvollen wurf, tourismusbranche und urlaubsländer, weil es keine reisewarnung gibt, die reisenden eine stornierung und kostenrückerstattung garantiert. der präsident des robert-koch-instituts, jörg hacker, immerhin sagte im interview: "es muss natürlich jeder selbst entscheiden, ob er so eine reise macht." das ist keine offizielle warnung, für mich klingt es aber ähnlich.

und nun? mir kommt es inzwischen so vor, als wären gerade die sicherlich spektakulären maßnahmen von gesundheitskontrollen, von untersuchungszelten an flughäfen, busbahnhöfen oder sonstwo, von häuslicher quarantäne und isolierstationen mit der optimalen medizinischen versorgung wirklich schwer kranker, als wären diese maßnahmen das, was dem modernen menschen entspricht: 1. vernünftig - weil sie eine krankheit einzudämmen versuchen, die risiken beinhaltet; 2. abgewogen - weil sie gezielt risikogruppen und betroffene erfassen und 3. gut vorbereitet - weil genau das der inhalt all der pandemie-pläne ist, die in den schubladen der gesundheitsschützer liegen und für die sie geübt haben.

hygiene und heimarbeit

große unternehmen etwa, das lernte ich während meiner recherchen außerdem, arbeiten längst so. die telekom etwa hat hygieneboxen zur handdesinfektion im unternehmen aufgehängt. mitarbeiter werden informiert, sanitätspersonal und betriebsärzte fortgebildet sowie medikamente bevorratet. wer jetzt oder künftig glaubt, kontakt mit einem infizierten gehabt zu haben, soll zuhause arbeiten; das könnte im pandemie-fall die hälfte der belegschaft in bonn. zwei menschen im vier-personen-büro, da wird der weg weit für den virus. auch andere firmen bereiten sich vor - auf hohen krankenstand, probleme im öffentlichen personenverkehr; ziemlich genau das gegenteil von panik.

vielleicht aber ist es auch zu einfach, wenn die neue grippe zur lage verkäme, die nach öden plänen abgearbeitet wird. und außerdem ist panik ja auch viel lustiger - irgendwie, aber ganz sicher woanders.

Dienstag, 14. Juli 2009

ein bißchen ulbricht

es war vor ziemlich genau einem jahr, als ich zum ersten mal auf dem hotelbalkon am griebnitzsee saß und dutzende spaziergänger sah, die unter mir auf dem von babelsberger villen gesäumten uferweg flanierten. ein paar läufer waren auch dabei, aber damals... nun ja. jetzt allerdings wollte ich auch den milden sommerabend für eine kurze runde nutzen und lief die paar stufen runter zum see, dann am ufer entlang der sinkenden sonne entgegen. nach rund 100 metern aber endete der weg an einem zaun, einer tür und hinterließ mich ratlos. das hindernis reicht bis zum see, wo ein weißer metallstern zudem verhindert, dass sich jemand um den zaunpfosten windet.

ich dachte nach. die barriere konnte eigentlich nicht da sein. schließlich hatte ich die ganzen fußgänger vor einem jahr nur einmal gesehen. hätten sie den zaun besichtigen wollen, hätten sie nach kurzer zeit wieder an mir vorbeikommen müssen, da zwischen zaun und hotel kein weg nach oben zur straße führt. das taten sie aber nicht (und so attraktiv, dass sie zur sehenswürdigkeit taugen würde, ist die barriere nun auch nicht). also müssen sie, damals und bevor etwas bislang unerklärtes geschah, am seeufer entlang weiter richtung schloß babelsberg gelaufen sein. das wollte ich eigentlich auch, mußte aber umkehren und verpasste gedankenschwer den aufstieg zur straße. kurze zeit später aber hatte ich ein zweites ankommen; diesmal an einem kleinen stück jener mauer, die ost und west getrennt und auch am griebnitzsee gestanden hatte; ziemlich genau übrigens da, wo heute der uferweg entlangführt wo er noch entlangführt.

technisch betrachtet

es sind nur ein paar mauerlemente, beschrieben mit graffiti, ein einfaches, mannshohes kreuz und die namen von menschen, die in dieser gegend bei dem versuch der flucht aus der ddr getötet wurden, auf einer tafel. ich blieb stehen und blickte den weg zurück. da stand ich nun also an einem mahnmal der teilung und des todes und ein paar hundert meter weiter westlich – westlich! - stand nun der zaun. technisch betrachtet erfüllt er den gleichen zweck wie die mauer. allerdings kann jeder, der hierher kommt, durch das gitter hindurchsehen und sieht so das unerreichbare (es sei denn, der kerl am zaun würde von den eigentümern auf der anderen seite eingeladen und würde dann auch da hingehen; aber so dringend ist es dann vielleicht doch nicht).

eine kollegin aus potsdam erzählte auf meine frage beim mittagessen am nächsten tag, was da geschehen war, von dem streit um den uferweg, von sträuchern die gepflanzt, zäunen, deren pfeiler einbetoniert, weg-abschnitten die umgegraben, rasenflächen die ausgerollt würden, von protesten und sicherheitskräften, die die grundstücke dann verteidigten. ein paar zeitungsartikel und andere dokumente fand ich im internet. es geschah wahrhaft wunderliches am ufer des griebnitzsees; etwa im juni 2009.

der norddeutsche rundfunk hatte vom technischen hilfswerk einen siebzig meter langen steg aufs wasser legen lassen, über dem spaziergänger, läufer - und aktivisten wohl auch - den gesperrten rasenflächen zwischen den offenen teilen des wegs ausweichen und an ungewohnter stelle am ufer entlanglaufen konnten. gleichzeitig blieb privates gewahrt. der eigentümer habe jemanden als zwerg beschimpft, auf seinem zugang zum see bestanden, darauf, dass seinem boot für einen ausflug platz gemacht und die geschlossene ponton-reihe geöffnet wird. nachbarn berichten, so die märkische allgemeine zeitung, dass nicht nur benzin für den schiffsmotor habe geholt werden müssen, sondern auch jemand, der das boot fahren konnte; beides erklärlich, denn dieses, so berichten sie weiter, sei in den letzten zehn jahren nicht einmal bewegt worden.

der fremde nun sieht letztlich nur das ergebnis, das ist sein privilig, und so bleibt sein urteil klar, eindeutig und ungetrübt von den ganzen „ja-abers“ des vorangegangenen diskurses (dieses privileg hat aber auch seinen preis, denn ihm, dem fremden, sind so auch dinge von gehobenem unterhaltungswert entgangen, wie etwa die um wenige wochen verpasste ponton-situation). und so ist mir denn, als schreibe sich am südufer des griebnitzsees deutsche geschichte fort, als hätten die neuen besitzer eine pontonbrücke in den lauf der zeit gelegt, eine kurze nach-wende-freies-ufer-episode wird beendet; denn es zwingt sich der vergleich mit den fast 30 jahren nach dem august 1961 auf.

pah, mag der gescholtene villenbesitzer sagen und darauf verweisen, dass er ja nichts dafür könne, dass sein haus auf so geschichtsgetränktem boden steht. dem könnte man entgegenhalten, dass sich hier wenige – die eigentümer der seegrundstücke – bereichern, denn sie steigern den wert ihres grunds durch den direkten zugang zum see, indem sie vielen – genaugenommen dem rest der menschheit - etwas wegnehmen, nämlich eben diesen. geschmacklos ist das an dieser stelle zudem, aber darüber läßt sich nun mal nicht streiten.

an diesem abend lief ich also ein stück am ufer, dann wieder die straße zum hotel und weiter; als ich dann aber kurz hinter dem villengrundstück mit dem zaun in die karl-marx-straße einbog konnte ich nicht anders als einmal, aber wirklich nur einmal, laut aufzulachen. nun, wahrscheinlich feiert in dem „runter von meinem rasen“ nur spießigkeit triumphe; ein bißchen ulbricht steckt wohl in jedem.

informationen zur ponton-aktion fand ich in der märkischen allgemeinen zeitung

wie alles anfing und ablief beschreibt aus ihrer sicht die bürgerinitiative hier

Samstag, 11. Juli 2009

zwei grad

es mag tatsächlich ein ergebnis sein – aber was heißt das schon? die g8-führer und führerinnen haben den globalen thermostat eingestellt. mal eben so beschließen sie, dass die erderwärmung auf zwei grad begrenzt werden soll. aha. aber hatten wir nicht schon mal warnungen vor einem grad höherer durchschnittstemperaturen gehört, dann von anderthalb grad? gab es nicht schon für bereits diese fälle krisenszenarien, horrorbilder von mega-stürmen, veränderten küstenlinien und holländischen strandpavillons, die man nur noch schwimmend erreicht, weil sie plötzlich auf einer insel liegen?

nun, die niederlande arbeiten an der rettung von friten spezial und frikandel während der sommerrfrische an der küste. sie schütten gerade etwa auf walcheren millionen kubikmeter sand auf und verstärken ihre deiche. gemeinhin gelten sie als pragmatisches volk und ihre flutvorsorge genießt weltruhm. irgendwie ist mir ihr programm, das sich bereits auf drastische folgen des klimawandels einstellt, glaubwürdiger als die kommuniques aus l' aquilla.

kamen gerade nicht auch berichte, wonach etwa die gletscher rascher schmelzen, als prognostiziert? gibt es nicht außerdem genügend hinweise, wonach unsere klimamodelle das tatsächliche geschehen nicht vorwegnehmen können, dass entwicklungen nicht zwangsläufig linear sondern auch exponential verlaufen? müsste dann nicht das mögliche getan werden und nicht nur das bequeme? wie würden die niederländer entscheiden?

nun also zwei grad – warum? vielleicht, ist es ein ziel, das allein deshalb realistisch ist, weil es konsequenzen hat und anforderungen stellt, die ohne besondere anstrengungen erreichbar sind? eine einigung auf dem niedrigsten niveau? der kleinste gemeinsame nenner? klingt schöner als drei? ist besser als nichts?

zwei grad - als könnten sie es festlegen, der natur fessseln anlegen. vielleicht verändert enger kontakt mit silvio berlusconi das selbstbild und am ende denken alle „siamo dei - wir sind götter“. lucio dalla, italienischer liedermacher, fügte da mal an: „e aspettiamo la fine del mondo – und wir warten auf das ende der welt.“

diese hybris, die ernsten gesichter, die gewichtigen worte – es ist auf fast schon surreale weise komisch. es wäre schön zu wissen, ob jemand in l'aquilla lachte.

Freitag, 10. Juli 2009

copyright-vermerk

aus grundsätzlich erwägungen habe ich aus allen beiträgen bilder - auch screeenshots - entfernt, wenn ich nicht eindeutig als kameramann oder fotograf auch die bildrechte besitze. interessanterweise musste ich zum verständnis des inhalts die bildinformation nur einmal im text beschreiben (und zwar im post "erfüllende prognosen" vom 24. april). der rest war allein schmückendes beiwerk. wieder etwas gelernt.

Mittwoch, 8. Juli 2009

michael und anderes

was genau da geschehen ist zwischen dem tag, an dem michael jackson starb und dem tag der trauerfeier - darüber mögen sich andere, klügere menschen gedanken machen. auch habe ich zu wenig gesehen von der trauerfeier und von dem bißchen ist mir hauptsächlich der moment in erinnerung, in dem seine tochter an das mikrofon trat und sich in ihrer trauer ein paar sätze entrang, die kommentatoren als den bewegendsten, aufrichtigsten moment bezeichnen könnten. der schmerz des kindes berührte auch mich, allerdings war mein impuls umschalten, denn wenn ich dem menschen nicht helfen kann, dann glaube ich auch nicht das recht zu besitzen, seine pein im fernsehen zu betrachten.

synchron geschaltet

aber das waren die letzten minuten. während die trauerfeier zuvor lief, saß ich im auto. im radio lief ein feature über progressive, soziale bewegungen in den usa nach der wahl obamas, ihre enttäuschungen, hoffnungen und perspektiven. auch hier wurden gegen ende die sätze gesprochen, die besonders haften blieben. es ging um die medien in den usa, rückläufige auflagen der zeitungen, titel die ganz verschwinden oder sich ins www zurückziehen, um oligopole bei den elektronischen medien, die, statt informationen mühsam und teuer zuschauer-, leser- oder hörergerecht aufzuarbeiten, teilweise weniger nachrichten sendeten als eine latenight show, deren namen ich schon wieder vergessen habe. und es ging - das sage nun ich - um die synchronisierung der öffentlichen meinung.

letztere geschieht fast zwangsläufig, es bedarf keines politischen plans, denn gesendet oder gedruckt wird, was aussicht auf interesse hat, auf messbaren erfolg und das sind die themen, die allgemein interessieren oder von denen die redaktionen glauben, dass sie das tun. da es aber immer weniger in ihrer publizistischen haltung unterschiedliche anbieter gibt, gleichen sich die veröffentlichten inhalte an und generieren eine öffentliche meinung, die weitgehend einheitlich ist. das funktioniert in den usa nach den gleichen betriebswirtschaftlichen gesetzen wie bei uns.

reine kopfsache

vor dem plenarsaal des bayerischen landtags stand im vergangenen jahr (und ich habe keinen anlass zu glauben, dass es heute anders ist) ein gut gefüllter zeitungsständer. aus der erinnerung schätze ich, dass etwa vierzig regionalzeitungstitel in den fächern des drehgestells steckten - aber ich sah maximal zehn unterschiedliche layouts; ein verlag brachte es auf mindestens zwölf sogenannte kopfblätter. so heissen die zeitungen aus einem haus, bei denen sich nur die lokalteile und der titel unterscheiden; seite 1, politik, nachrichten, feuilleton, service und überregionaler sport kommen aus zentralredaktionen. dass ich den bayerischen landtag erwähne ist zufall, ich sah den ständer bei einer produktion in münchen; in den landtagen anderer flächenländer sieht es sicher kaum anders aus.

so erreicht denn der kommentator des hauses nicht mehr nur - sagen wir mal - 100 000 leser wie vor zwanzig jahren, sondern dank der presse-konzentration und der nutzung der synergieeffekte heute eine million (ähnliche reichweiten hatten in deutschland nur die meinungsbildenden der sed-bezirkszeitungen in der ddr). das muß nicht schlimm sein; aber schlimm ist, dass innerhalb des verbreitungsgebiets keine alternative zu dieser einen stimme existiert, keine andere nachrichtenauswahl und keine andere gewichtung der themen.

wie entscheidet wer?

und damit sind wir wieder bei michael jackson: vor die wahl gestellt, drei stunden (oder waren es mehr) sondersendung sowie vielleicht fünf sonderseiten über die trauerfeier zu produzieren oder eine halbe stunde und eine seite über (nur mal so zum spaß:) die sozialenzyklika von papst benedikt XVI. - welche entscheidung fällt? und was wird eingeschaltet oder gelesen?

allerdings keimt in mir schon lange der verdacht, dass bei dieser art des blatt- oder sendungsmachens leser und zuschauer auf so leichtfertige weise unterschätzt werden, dass die sich einfach achselzuckend abwenden. vielleicht fällt es menschen, die in wirtschaftlich schwierige situationen geraten, auch besonders leicht, eine tageszeitung abzubestellen, die nicht mehr informationen bietet als tv-nachrichtenmagazine und der morgendliche hörfunk (mir ist es tatsächlich einmal passiert, dass eine hörfunksprecherin wort für wort den text vortrug, den ich in diesem moment las. zeitungs- und radio-redaktion hatten den denselben beitrag einer nachrichtenagentur verwendet; es war gespenstisch). kostenlose anzeigenblätter mit lokalteil erledigen dann den rest.

ob wirklich etwas anderes so viel wichtiger gewesen wäre, als die trauerfeier für den toten superstar? das mag jeder für sich entscheiden. von all dem hype ist zumindest bei mir kaum mehr geblieben, als jener beschriebene, bedrückende moment. andere dinge aber dauern an, haben nachhaltige wirkung. vielleicht liest man von denen dann in den wochenzeitungen. deren auflagen - interessanterweise und wie ich meine sicher nicht nur wegen der "die zeit"-lesenden lehrer - sind übrigens stabil.



die entwicklung der auflagen unterschiedlicher medien ermittelt die ivw

der wirklich sehr interessante beitrag "die obama-welle - ernüchterung nach dem rausch?" des deutschlandfunks vom 7. juli 2009 sollte bald im archiv von "das feature" abrufbar sein.