Montag, 27. Juli 2009

woanders lustiger

ab wann mensch in panik ausbricht ist individuell. sie ist aber dann, wenn die vernunft pause macht und archaische abteilungen des zentralen nervensystems die kontrolle übernehmen, auch nicht mehr beherrschbar, fight, flight, freeze - kampf, flucht oder starre, eine tatsächlich bescheidene auswahl die in der savanne vorzüglich funktionierte, angesichts moderner bedrohungen aber auch schwächen haben kann; sagen wir etwa bei der schweinegrippe.

nützliches auf den steiten des robert-koch-instituts

in der vergangenen woche gab es nicht nur viele berichte sondern auch echte neuigkeiten und neue fragestellungen: die zahl der fälle steigt rapide (täglich kamen allein in nordrhein-westfalen mindestens 200 hinzu; hier läuft wegen des frühen ferienbeginns die erste rückreiswelle; anzunehmen, dass es in anderen bundesländern bald ähnlich sein wird), die meisten der erkrankten kommen aus einigen urlaubsgebieten spaniens, werden dort wegen diffuser infekte oder atemwegserkrankungen behandelt (nicht aber - so die berichte der betroffenen übereinstimmend - auf neue grippe getestet; a/h1n1 wird erst dann labortechnisch festgestellt, wenn sich das deutsche gesundheitssystem der menschen annimmt), es gibt große unterschiede in der frage, wie wir dem virus begegnen sollen und ob die bislang moderaten kranheitsverläufe entweder durch a) dramatisch steigende fallzahlen oder b) eine veränderung des virus auch bei uns massenhaft infektionen mit dramatischem oder gar tödlichem verlauf generieren oder warum wir zwei milliarden euro für ein impfprogamm ausgeben wollen, das erst zu einem zeitpunkt beginnen kann, an dem der impfstoff möglichweise durch natürliche mutation des virus längst nicht mehr wirkt?

nur ein paar millionen?

prof. heiko schneitler wirkt seiner leibesfülle angemessen gelassen. doch war es der leiter des düsseldorfer gesundheitsamts, der sich für konsequente kontrolle etwa der rückreisenden aussprach, für sicherstellung der quarantäne und der unterbrechung des infektionswegs. mag sein, dass er seine aufgabe der gesundheitsvorsorge einfach zu ernst nimmt; aber es hat etwas sehr überzeugendes, wenn er von einem vermeidbaren risiko spricht, das wir eingehen, nur weil die nötigen schritte nicht gegangen werden; es macht nachdenklich, wenn er von todesfällen spricht, die nicht auftreten müßten, weil die zahl der erkrankungen niedrig bleiben könnte.

würden seine maßnahmen allerdings erfolg haben und würden kontrollen an flughäfen und busbahnhöfen funktionieren, wozu dann ein teures impfprogramm, wenn ein paar millionen euro, wie er vorrechnete, ausreichen. wer hat den nutzen, wer den schaden? ein volk von 80 millionen menschen, so sagte er im interview, sollte in der lage sein, mit der krankheit einiger tausend umgehen zu können. für mich klang das dann doch sehr gelassen.

kölsche katalanen

ein paar kilometer weiter südlich - köln. in der rheinischen metropole der südländischen lebensart halten es die verantwortlichen im gesundheitsamt mit dem katalanen: was ich nicht suche finde ich nicht. fieber, husten heiserkeit - das kann ja auch andere ursachen haben, die reisenden sollen nach hause und sich dort untersuchen lassen .

nun hatte ich immer schon den verdacht, dass der kölsche mensch in vaterstädtischer nibelungentreue auch gröbsten unfug mitmacht und sein selbstbild trotz fc, einstürzender altbauten und arglos geschaffener baulücken gegen alle vernunft verteidigt; so gesehen war es nicht anders zu erwarten, meine ich: bilder von gesundheitswächtern in schutzanzügen, die immer sonntags, gegen mittag, wenn die busse aus lloret oder sonstwo ankommen, braungebrannte jugendliche am großen parkplatz hinter dem hauptbahnhof untersuchen oder sogar separieren, die zahl der in köln festgestellten fälle hochtreiben - was sollen die leute bloss denken? das böse soll schnell weg, es ist ja nicht mehr weit zum regionalexpress - am liebsten nach westfalen (es mag zufall sein, aber in einem kleinen ort bei dorsten gab es 11 fälle von neuer grippe auf rund 5000 einwohner, in drei verdachtsfällen standen die testergebnisse noch aus. die erkrankten waren alle aus einem spanien-urlaub zurückgekehrt. immerhin mußte das schützenfest nicht abgesagt werden; der dortige hausarzt bekam die lage unter kontrolle. am telefon wirkte er angesichts meiner anfrage eher amüsiert als aufgeregt).

auf flughäfen oder grenznahen autobahnparkplätzen sehen menschen in overall und mit atemmaske sicher auch merkwürdig aus. vielleicht würde uns das zu sehr an "outbreak" erinnern und jeder sieht schon eine aerosolbombe über seinem viertel hereinschweben; und weil nicht an jedem funkgerät ein dustin hoffmann die rechten worte findet, um eine eigentlich befehlsgehorsame transall-besatzung davon zu überzeugen, die tödliche fracht woanders abzuwerfen... - nun, das thema war panik und da mischen sich neuzeit und savanne aufs kurioseste (wenn ich darüber nachdenke halte ich es nicht für unwahrscheinlich, dass auch kino- und fernsehfilme den eigentlich fürsorglichen akt der gesundheitsvorsorge in einen verstörenden, bedrohlichen gewandelt haben: "mama, mama, was machen die mit mir (flehend)?" - "bitte, officer, lassen sie mich zu meinem kind (verzweifelt, unter tränen)" - "mama (schon leiser)" - "treten sie zurück ma'am, (barsch, gedämpft, atemgeräusch unter gasmaske) sie können hier nicht durch, zurück" - "jason! (laut und im diskant)" oder so ähnlich).

viele, die sich freuen

nun sagt auch prof. heiko schneitler, dass die zeit knapp wird, in der diese maßnahmen noch erfolg haben können. lieber dann doch eine spritze - die ist bequemer und konsensfähiger; tendenziell freuen sich ja auch mehr darüber - pharma-industrie und ärzte über unerwarteten umsatz, gesundheitspolitiker über den großen verantwortungsvollen wurf, tourismusbranche und urlaubsländer, weil es keine reisewarnung gibt, die reisenden eine stornierung und kostenrückerstattung garantiert. der präsident des robert-koch-instituts, jörg hacker, immerhin sagte im interview: "es muss natürlich jeder selbst entscheiden, ob er so eine reise macht." das ist keine offizielle warnung, für mich klingt es aber ähnlich.

und nun? mir kommt es inzwischen so vor, als wären gerade die sicherlich spektakulären maßnahmen von gesundheitskontrollen, von untersuchungszelten an flughäfen, busbahnhöfen oder sonstwo, von häuslicher quarantäne und isolierstationen mit der optimalen medizinischen versorgung wirklich schwer kranker, als wären diese maßnahmen das, was dem modernen menschen entspricht: 1. vernünftig - weil sie eine krankheit einzudämmen versuchen, die risiken beinhaltet; 2. abgewogen - weil sie gezielt risikogruppen und betroffene erfassen und 3. gut vorbereitet - weil genau das der inhalt all der pandemie-pläne ist, die in den schubladen der gesundheitsschützer liegen und für die sie geübt haben.

hygiene und heimarbeit

große unternehmen etwa, das lernte ich während meiner recherchen außerdem, arbeiten längst so. die telekom etwa hat hygieneboxen zur handdesinfektion im unternehmen aufgehängt. mitarbeiter werden informiert, sanitätspersonal und betriebsärzte fortgebildet sowie medikamente bevorratet. wer jetzt oder künftig glaubt, kontakt mit einem infizierten gehabt zu haben, soll zuhause arbeiten; das könnte im pandemie-fall die hälfte der belegschaft in bonn. zwei menschen im vier-personen-büro, da wird der weg weit für den virus. auch andere firmen bereiten sich vor - auf hohen krankenstand, probleme im öffentlichen personenverkehr; ziemlich genau das gegenteil von panik.

vielleicht aber ist es auch zu einfach, wenn die neue grippe zur lage verkäme, die nach öden plänen abgearbeitet wird. und außerdem ist panik ja auch viel lustiger - irgendwie, aber ganz sicher woanders.

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