Donnerstag, 14. Mai 2009

weisses rauschen

journalisten und ärzte haben eines gemeinsam: beide bekommen nicht gerne ihre grenzen aufgezeigt. die der mediziner sind im zweifel die wirklich wichtigen, weil sie ein scheitern definieren, den mißerfolg einer behandlung und menschliches leid. die der journalisten sind im allgemeinen eher intellektueller natur und führen maximal zu selbstwertkrisen, psychotherapien oder – im günstigen fall - dem redlichen bemühen, die dinge besser zu verstehen.

die schnittmenge zwischen beiden berufsgruppen sind gesundheitssystem und gesundheitspolitik. der vertreter des landesverbands einer gesetzlichen krankenkasse sagte mir kürzlich, es gebe in deutschland maximal sechs journalistInnen, die tatsächlich inhaltlich auf der höhe sind. das aber wäre wichtig, um die richtigen fragen zu stellen, denn in dem system habe man es immer mit lobbyisten zu tun – egal auf welcher seite man fragt, ob pharma-industrie, apotheker und – das sage nun ich – krankenkassen.

immer neue grenzen

ärzte hatten da eine sonderrolle; ihnen möchte mensch vertrauen, ihnen vertraut er auch und kein anderer beruf genießt in deutschland so ein hohes ansehen. es schwingt immer ein „zum wohle der menschheit mit“, wenn ärzte forderungen stellen, umstrukturierungen ablehnen oder sich wie jetzt über die neuordnung der honorare empören. allerdings hat noch kein arzt, das sagen nun die krankenkassen, die das geld überweisen müssen, eine abrechnung gesehen. am rande sei zudem erwähnt, dass die vertreter der ärzte in den kassenärztlichen vereinigungen (kv) jene reform weitgehend gestaltet haben, gegen die nun deren mitglieder protestieren; nicht gegen die kv (schon wieder so eine intellektuelle grenze) sondern gegen politik, gesetzliche krankenkassen, finanzkrise und überhaupt.

durchaus denkbar, dass die ärzte-lobbyisten, deren forderungen nun durch die medien rauschen, inzwischen ziemlich weit entfernt sind von ihrem volk in weiss. unmöglich und beinahe „kriminell“ findet ein hausarzt die forderung des präsidenten der kv-nordrhein, leonhard hansen, eine praxisgebühr bei jedem arztbesuch zu erheben, für den ohne überweisung beim facharzt sogar mit bis zu fünffachem satz. völlig absurd, mit dem ärztlichen selbstverständnis und eid des hippokrates überhaupt nicht zu vereinbaren sei, sagt ein anderer mediziner, die vorstellung des präsidenten der bundesärztekammer dr. jörg-dietrich hoppe, eine art prioritäten-liste für behandlungen einzuführen. so etwas gibt es in england schon oder auch in schweden. da entscheidet etwa ein punktesystem, wer wann welche operation bekommt, darunter auch lebensverlängernde oder -rettende organtransplantationen.

inquisitor in weiss?

offenbar sind für solche ärzte therapiefreiheit (wie immer gefordert, wenn es um den einsatz teurer medikamente und vieler moderner apparate geht) und ein möglicher behandlungserfolg doch nicht immer so wichtig, offenbar auch nicht der mensch (oder kunde?), möglichst zufrieden und mit dem gefühl ernst genommen und gut versorgt zu sein. ganz abgesehen davon, was sich im arzt-patienten-verhältnis tut, wenn der kranke befürchten muß, dass sein hang zu koffeinhaltigen getränken oder zigaretten seine aussichten auf die behandlung eines magengeschwürs verschlechtert. was wird er dem mediziner freiwillig erzählen und wo sind die grenzen? hätte ein hobbyportler wegen seines gesunden lebenswandels zwar anspruch auf herz-kreislaufmedikamente, nicht aber auf die 1a heilungsbeschleunigende behandlung eines bänderisses, denn den hat er ja durch die dämliche lauferei im wald selbst verschuldet? mutiert der arzt des vertrauens zum inquisitor, der je nach leiden das leben des kranken nach möglichen selbstverschuldeten risikofaktoren durchforstet oder wegen der lebenserwartung – daumen hoch, daumen runter – über wohl und wehe und zumutbarkeiten entscheidet? damit hätte sich nach jahren der – nach protesten zurückgenommene - vorschlag eines junge-union-politikers: keine neuen hüften für greise als prophetisch erwiesen (philipp mißfelder ist übrigens heute bundestagsabgeordneter)

es ginge dann aber nicht mehr um medizin sondern um das gegenteil, wie bei meinen recherchen ein hausarzt meinte: dann, sagte er empört, ginge es darum die menschen von der medizin fernzuhalten. ihm sei dieses bild unerträglich, denn es zeichne den patienten als störer, der, wenn er behandelt wird, die gewinne, jener mindert, die von seinen beiträgen leben.

solche not

der kameramann, mit dem ich an diesem tag arbeitete, erzählte auf dem weg zum dreh von einer ärztedemonstration, die er ein paar wochen zuvor aufgenommen hatte. „ärzte in not“ habe auf dem schild gestanden, das einer der mediziner getragen habe. allerdings habe er, der kameramann, noch nie so viele geländewagen eines deutschen sportwagenherstellers im umfeld einer mangel-motivierten demonstration gesehen, wie an diesem tag.

nun mag das empfinden von not höchst individuell sein; eine halbtagsbeschäftigte alleinerziehende etwa könnte mit den achseln zucken. wahrscheinlich würde sie den begriff not weder auf die situation der ärzte noch ihre eigene anwenden wollen. sie wäre vielleicht sogar und mit recht stolz auf das, was sie da bewältigt. mag auch sein dass ihre alltagskompetenz deutlich höher ist als die von radio-, kardio oder sonstwie -logen und ihr verständnis von not weniger panisch.

übrigens frage ich mich gerade, wieso mediziner glauben, dass eine hohe investition einen anspruch auf umsatz und rendite kreiert und den medizinischen – da ist es schon wieder – notstand heraufdämmern sehen, wenn kliniken ihre krebspatienten weiter ambulant strahlentherapeutisch behandeln und nicht in eine facharztpraxis schicken. mag ja sein, dass es gründe für die einrichtung konkurrenz-freier ärzte-biotope gibt. jetzt sagte aber im interview ein ärztelobbyist und internist meinem kollegen, mit dem ich gemeinsam an dem beitrag arbeitete, dass lange wartezeiten bei planbaren operationen wie einem künstlichen hüftgelenk durchaus denkbar wären. es könnte sein, dass dann der schneller behandelt würde, der privat bezahlt oder zuzahlt, das sei eben marktwirtschaft. nun, wenn die marktwirtschaft im gesundheitssystem in diese richtung geht - dann darf man sich ja auch mal umdrehen.

die frage nach der frage

vielleicht ist ja etwas dran, wenn der chef der aok-rheinland/hamburg im interview sagt, dass milliarden in selbstverwalteten bereichen verschwendet werden, dass es einsparpotentiale gibt, dass von denen, die wirtschaftlichkeit, effizienz und wettbewerb fordern die härtesten widerstände kommen, wenn sie selbst danach handeln und konkurrenz zulassen sollen. vielleicht aber waren die vorschläge des ärzte-präsidenten wirklich nur getöse vor dem ärztetag in der kommenden woche.

vielleicht ist das aber auch ganz anders, wenn man jemand anderen fragt. und vielleicht ist die frage nach der richtigen frage gar nicht die frage. sondern die: wenn ein system so kompliziert ist, dass es nur insider verstehen und der eindruck entsteht, dass dies so gewollt ist, wenn dieses system seiner eigentlichen aufgabe kaum mehr nachkommt, zerrissen ist im widerstreit der lobbyisten und aufgeblähten interessenverbänden – steht dann nicht das system in frage?

fragen sie mal ihren arzt oder apotheker.


der pro und contra-beitrag ist bis zum 7. juni hier zu sehen, ein weiterer film, der zuschauerreaktionen aufgreift und sich mit den ärzte-funktionären befasst, im sendungsarchiv der aktuellen stunde des wdr-fernsehens am 13. mai

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