Montag, 4. Mai 2009

chancen, vertan


„es ist eigentlich richtig schön hier,“ sagt der polizist in dem zivilfahrzeug vor dem haus von helmut d., „da hinten gibt es sogar schafe, kamerunschafe.“ woher er die rasse kenne, frage ich ihn und er sagt, dass auch seine schwester solche habe. als wir an den zaun gehen, den feldweg entlang, der zum flüßchen wurm führt, traben sie meckernd heran: „egal aus welcher richtung man nach heinsberg-randerath kommt, nett ist es hier überall,“ meint er noch, dann geht er zurück zum wagen. einer von zweien, in denen vier beamte rund um die uhr – ja, was eigentlich tun? schützen sie die aufgebrachte gesellschaft vor einem sexualstraftäter oder den vor einer aufgebrachten gesellschaft?

es ist wohl ein bißchen von beidem und deshalb schwingt etwas verstörend beunruhigtes mit, wenn hans schmitz, der pfarrer des ortes sagt, er fürchte den moment, in dem die polizei geht, weil die lage sich dann unkontroliert entwickeln könne. und es ist ihm ernst, wenn er sagt, dass dann auch die dritte säule des rechtsstaats die menschen im stich liesse, da bereits jetzt weder ein gesetz noch ein gericht eine lösung böten für das, was randerath als eine prüfung empfinden muss.

dabei hat es wohl chancen gegeben, ihr zu entgehen, eine lösung zu finden mit der alle hätten leben können; die bürger, die familien, helmut d., der seinen bruder nach dem ende der haft zu sich, seiner frau und seinem sohn nahm, die polizei und die politiker. sie hatte so nahegelegen, war so greifbar, dass es schaudern macht.

alle haben es gewusst

im oktober war es oder im november, nein, genau weiss er es nicht mehr. es war aber im vergangenen jahr, da ist er sich ganz sicher, dass er es ihm gesagt hat. sie hatten zusammen gestanden, wie nachbarn es eben gelegentlich tun. dass sein bruder vielleicht bald zu ihm kommen werde, dass der noch im gefängnis sitzt wegen vergewaltigung; das hat helmut ihm gesagt. der ganze ort habe es schließlich gewusst.

mehrfach hatte ich während meiner recherchen und dreharbeiten gehört, dass die menschen in heinsberg-randerath monate vor der ankunft des wegen dreier vergewaltigungen verurteilten karl d. gewusst hätten, dass so etwas auf sie und ihre gemeinde zukommt. in der kneipe im ortszentrum erzählten sie mir, dass viele eltern ihre kinder schon vorbereitet, ihnen gesagt hätten, wie sie sich verhalten sollen, wenn fremde sie ansprechen und einige sohn oder tochter seit monaten auf deren wegen begleitet hätten. aber niemand hatte mir sagen können, woher diese informationen stammten. der mann aus der umgebung von helmut d.'s wohnhaus war der erste. ob er es weiter erzählt hat, ob helmut d. es auch anderen menschen sagte, die er auf der straße traf oder beim spaziergang mit seinem labrador am flüßchen wurm – es spielt keine rolle mehr.

die besonneneren meinen, landrat stephan pusch war getrieben, als er öffentlich vor dem von gutachtern und münchener staatsanwaltschaft als gefährlich bezeichneten mann warnte. getrieben von der justiz in bayern - die vom eigenen versäumnis beim prozeß mitte der 90er jahre wenn nicht ablenken dann zumindest nicht die verantwortung für die nicht beantragte sicherungsverwahrung übernehmen will - getrieben von der bevorstehenden veröffentlichung eines beitrags in einem privatsender - pfarrer hans schmitz: „die reporter fragten die menschen vor dem haus: was würden sie sagen, wenn da oben ein kinderschänder einziehen würde? die antwort können sie sich denken“ - und getrieben vielleicht auch von der anstehenden kommunalwahl in nordrhein-westfalen.

die wirtin winkt ab, als ich sie frage, was denn diesen zustand, in dem randerath nun ist, verursacht hat. es schwingt so etwas wie groll mit, es ist als würde sie einer verpassten gelegenheit nachtrauern, wenn sie von den äußerungen des politikers spricht und wie erst sie die menschen aufbrachten und alles auf den kopf stellte mit täglichen demonstrationen, aufmärschen der rechten und vielleicht auch einem riss, der durch den ort geht.

vielleicht wäre es ja auch anders gegangen, glaubt sie, leiser. sicher, die menschen hätten es nicht hingenommen, wenn so ein gefährlicher mann plötzlich in ihren ort zieht. aber es wäre ein langsamer prozeß gewesen.

von dem, was hätte sein können

was wäre denn gewesen, wenn münchner staatsanwaltschaft und heinsberger landrat gesagt hätten, dass die polizei maßnahmen ergriffen hat, der mann der führungsaufsicht untersteht, die menschen in dem betroffenen ort informiert sind und der gesamte vorgang routine im rechtsstaat ist? welche möglichkeiten hätten vielleicht bestanden, in einem sachlichen klima einfluss zu nehmen auf karl d.?

nun aber hat es den anschein, als gäbe es keine einfache lösung mehr. die existenz von helmut d. und seiner familie in randerath ist zerstört, das sagt er, das sagt sein anwalt, das sagen nicht wenige in randerath; es ist auch mehr als unwahrscheinlich, dass das münchner oberlandesgericht in dieser woche die unterbringung von karl d. veranlasst, glauben fachleute, da unwahrscheinlich ist, dass später der bundesgerichtshof die nachträgliche sicherungsverwahrung anordnet – und dann? welcher forensische psychiater wird den mann behandeln, nach all dem rummel, wenn er ihn nicht einsperren kann, um ja ganz sicher zu sein, dass nicht sein name mit einer neuen tat von karl d. in verbindung gebracht wird. aber warum sollte der sich nach 14 jahren gefängnis freiwillig einsperren lassen? was soll geschehen, wer nimmt den mann auf, wohin kann die familie, mehr einander verbunden mit jedem tag der ausgrenzung, stigmatisiert und ohne hoffnung auf einen neuanfang als ein jedermann? wer zahlt für das, was sie aufgeben müssen, in randerath und in ihren herzen?

und was nun?

wird möglicherweise wieder ein gericht ein urteil kassieren mit der begründung, der täter war zur tatzeit schuldunfähig, das sei aber nicht gewürdigt worden, karl d. habe also zu unrecht im gefängnis gesessen und käme nun endlich dahin, wo ihn so viele ja auch haben wollen, in eine geschlossene gerichtspsychiatrie? wird wieder auf so schwer erträgliche art recht gesprochen, welche die rechtslage für einen einzelfall korrigiert, und im ergebnis heißt: wir sperren dich wieder ein, damit dir recht geschieht?

das hat es schon einmal gegeben, in ostdeutschland nach der wende, als ein sexualstraftäter freizukommen drohte. der deutsch-deutsche einigungsvertrag gestand ihm – er war zur tatzeit heranwachsender und seine lebenslange freiheitsstrafe wurde in zehn jahre höchststrafe nach jugendstrafrecht umgewandelt - dies zu. auch dort hatten staatsanwaltschaft und ein gutachter gewarnt. wegen fällen wie diesem, des sogenannten kreuzworträtselmörders aus halle an der saale, war es aber auch, dass die nachträgliche anordnung der sicherungsverwahrung ermöglicht wurde. der mann ist inzwischen wieder frei.

wo die lösung liegt für randerath? es ist blanke ironie, wenn der pfarrer sagt, der ort sei im moment wohl einer der sichersten in deutschland; doch in der bitternis ist kein trost. die einen werden weiter demonstrieren, bis die gerichte entschieden haben und dann, so sagen sie, noch länger wenn es sein muss, wenn karl d. frei bleibt; die anderen werden vielleicht grimmig, vielleicht traurig zusehen und aushalten; manche anwohner aber auch helmut d., seine frau und sein sohn, werden sogar leiden. und selbst wenn karl d. geht - ein schatten wird bleiben über dem idyll.



den fernsehbeitrag vom 4. mai gibt es hier zu sehen.

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