es gibt, sagte einmal ein ehemaliger polnischer ministerpräsident, weltweit nur eine organisation, die ein geheimnis sicher verwahren kann, die katholische kirche.
delbrück bei paderborn kannte ich bislang nur als herkunftsort eines neuen sportwagens. und namensvetter eines kölner stadtteils. meistens eher spöttisch sprechen die rheinländer von den westfalen, und das die menschen in der umgebung von paderborn noch etwas spezieller sind, sagt ganz sachlich eine kollegin, die wie ein anderer kollege „von da wech“ ist und der, kommen wir bei einer unterhaltung auf seine heimat, in einem eigenartigen dialekt zu sprechen beginnt.
bei den recherchen für einen beitrag von einer karfreitags-prozession fand ich einen artikel über delbrück. seit 1674 gibt es dort passionsspiele, inzwischen reduziert auf die kreuztracht, das eigentliche tragen des kreuzes. was mich allerdings aufmerken ließ: der träger des rund 50 kilo schweren kreuzes bleibt anonym, sein gesicht ist von einer drahtmaske verborgen, auf welche die gesichtszüge christi gemalt sind, ein bart geklebt ist und die zwei männer, kreuzbegleiter genannt, gemeinsam mit perücken und gewändern nur einmal im jahr für die stunden der prozession aus ihrem aufbewahrungsort holen. Der kreuzträger, so stand es in dem artikel, sei - meist - ein mitglied der gemeinde, das mit der passion buße für eine begangene sünde tun möchte. Seine identität sei allein dem pfarrer und eben den beiden männern bekannt, die ihm und einem anderen, der simon von cyrene darstellt (der bauer, der von den römern gezwungen wurde christus beim tragen des kreuzes zu helfen), beim ankleiden helfen.
anonyme buße vor der kamera?
beiträge entstehen zunächst im kopf und die beichte eines reuigen sünders, gleichwohl auch für den fernsehzuschauer anonym, vor der kamera in verbindung mit den bildern von der prozession, das wäre doch ein guter film; falls dieser kreuzträger nicht möchte findet sich vielleicht ein mann, dessen passion schon länger zurückliegt und der uns davon erzählt; vielleicht könnte ja auch einer der kreuzbegleiter erzählen von den ungewöhnlicheren karfreitagsprozessionen, den ungewöhnlicheren büßern und was aus ihnen wurde, anonym natürlich, das müßte doch gehen. ideen, die ein weltlicher journalist eben so hat.
der pfarrer hörte sich ruhig meine vorschläge an, wir vereinbarten ein gespräch am nächsten tag. seine antwort war ebenso ruhig wie seine aufmerksamkeit am vortag: sie wollten die anonymität wahren, sie sei nicht nur ein lässlicher, vielleicht romantischer teil der tradition sondern ein tragendes element des ritus, von entscheidender bedeutung nicht nur für den kreuzträger und dessen helfer sondern auch für die menschen, die an der prozession teilnahmen. die freundliche aber auch sichere art wie er dies sagte machte mir klar, dass die antwort wohlüberlegt war, abgewogen und konsequent. es gab da keinen raum für kompromisse. vielleicht ist es das, was meine kollegin meinte, wenn sie über die menschen in der region sprach.
diese klarheit mag dem oben erwähnten rheinländer unerträglich sein; die fähigkeit zur finalen festlegung ist es vielleicht, die ihm den westfalen unheimlich erscheinen lässt und die scherze sind pfeifen im walde. diese klarheit hat aber vor allem etwas entlastendes, klärendes. sie markiert einen punkt, von dem aus es verlässlich weitergeht. in delbrück war klar: sie sind willkommen - aber das sind die bedingungen.
ein elementares ereignis
wir haben sie akzeptiert. den darsteller christi, den des simon – wir haben sie nie ohne verkleidung gesehen, wir haben kein wort mit ihnen gesprochen. freundlich haben die kreuzbegleiter uns von den männern ferngehalten, über deren motive wir auch nichts erfahren haben.
und allein auf diese weise erahnte ich, was diese passion zu einem so elementaren, für einige gläubige, mit denen ich sprach, sogar erschütternden ereignis werden läßt. zu wertvoll, um es für einen einmaligen effekt der profanen neugier zu opfern. der unbekannte mensch, der sich in der wärme des frühlingstages sichtbar unter der last schindet, dessen schritte schwer sind, der manchmal nur mühsam die balance hält, dessen tiefes atmen zu sehen ist, dessen leib zittert an den stationen des kreuzwegs – er kann allein durch seine anonymität projektionsfläche für viele sein, ein symbol für teile der eigenen existenz, eine frage, gestellt an jeden, der ihn da sieht, vielleicht auch eine anklage. der weg ist öffentlich, aber unter maske und gewand zugleich intim und geschützt. es gibt keine absolution – weder durch den pfarrer noch durch die menge, keine anerkennung, kein schulterklopfen.
vielleicht, wenn die mühe gewogen würde gegen das motiv, die sünde gegen die buße und die hoffnung gegen die tat, vielleicht wäre es dann wertlos, banale unterhaltung. so aber ist es echtes, aufrichtiges bemühen.
nach dem rund zweistündigen kreuzgang, den etwa 8000 menschen begleiteten, blieben die beiden männer noch kurz im pfarrhaus. gesprochen, erzählt der pfarrer, wird nicht viel, auch das vielleicht westfälisch; dann, wenn die anderen gläubigen längst weg sind, gehen sie still und ohne aufsehen durch einen nebeneingang wieder nach hause. wir waren da schon weg.
für die kommenden jahre hat er schon einige männer, die sich für den kreuzgang beworben haben. wenn er von der aufrichtigkeit ihres anliegens überzeugt ist, werden sie die tradition fortsetzen. wenige wochen vor der prozession wird er sich entscheiden und zwei von ihnen anrufen. Ob sie buße tun, dank sagen für widerfahrenes glück, für sich oder einen anderen um heilung bitten oder ihren glauben vertiefen wollen - das geheimnis ihrer passion wird er bewahren.
den beitrag gibt es hier zu sehen
die delbrücker kreuztracht ist nicht die einzige karfreitagsprozession dieser art in ostwestfalen; es gibt vergleichbare passionen auch in anderen orten, etwa in wiedenbrück.
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Guten Tag,
AntwortenLöschender Beitrag über die Delbrücker Kreuztracht war ganz hervorragend. Es ist ihnen gelungen, die Motivation der Träger aber auch die Gefühle der Mitgeher gut darzustellen.
Hubert Löbbecke, Delbrück
guten tag herr löbbecke,
AntwortenLöschendanke für die freundliche kritik, die ich leider erst heute entdeckt habe.
eine gute zeit wünscht
thomas görger