Mittwoch, 25. März 2009

am ende beides

sie sind gekommen, sie haben ihre transparente entrollt, ihre sprüche gebrüllt, sie haben eingepackt und sind wieder gegangen - karl d. ist geblieben im kleinen heinsberg-randerath, wo ihn wohl niemand wirklich will, weder die rechten vom wochenende noch die bürger und die eltern unter ihnen schon gar nicht. es ist krude, es ist zynisch aber es ist ein sieg des rechts.

fast wäre er weg gewesen, in therapie. doch karl d. wollte nicht in eine geschlossene abteilung, in den forensischen hochsicherheitstrakt der landesklinik in langenfeld. es mag ihm vorgekommen sein wie sicherungsverwahrung, nur freiwillig. aber nach 14 jahren haft? konnte irgend jemand ernsthaft erwarten, dass sich der ehemalige häftling selbst hinter türen begibt, von denen er nicht wissen kann, wann sie sich wieder öffnen? und ist es überhaupt zu verlangen, dass einer ohne not seine freiheit aufgibt? das gut, dessen entzug die härteste strafe darstellt, die dieser staat kennt; in dessen namen kriege geführt und menschen getötet werden?

es war anfang märz, als ich mit dem ehemaligen vorsitzenden des düsseldorfer schwurgerichts ein fernseh-interview führte. der fall des mehrfachen vergewaltigers, der gegen den willen der staatsanwaltschaft, der empfehlung der gutachter und auch wohl den wunsch der meisten menschen frei kam, war gerade aktuell. in die aufregung, die empörung hinein aber mahnte fritz von beesten: das grundgesetz könne nicht einfach zugunsten eines sicherheitsbedürfnisses der menschen fallweise außer kraft gesetzt werden: "persönliche freiheit, das ist das oberste recht. die gesellschaft muss damit leben, dass wir einen personenkreis haben, der strafttaten begeht."

wenn in der hauptverhandlung mitte der 90er jahre die frage der sicherungsverwahrung keine rolle spielte, dann mag das falsch gewesen sein. doch wegen eines möglichen versäumnisses des gerichts dürfe karl d. nun nicht seines grundrechts auf freiheit beraubt werden. zu recht sei außerdem die hürde der nachträglichen sicherungsverwahrung hoch. die prognosen der forensischen gutachter seien eben keine naturwissenschaft, so von beesten, sondern mit der möglichkeit des irrtums behaftete interpretationen und projektionen. der staat selbst begeht unrecht, wenn er auf solcher grundlage einen menschen vorsorglich einsperrt. es gebe zudem möglichkeiten der kontrolle, etwa das "institut der führungsaufsicht".

die grenzen der sicherheit

seine zitate sorgten für diskussionen innerhalb der redaktion, für die ich den beitrag realisiert habe. je länger wir uns die köpfe heiß redeten über die rechte des verurteilten und die rechte der möglichen zukünftigen opfer, über den staat ,der zu seinem wort steht, das er in form von gesetzen gegeben hat und das eine unrecht, das gegen das andere aufgewogen wird, um so einleuchtender fand ich, was der ehemalige richter gesagt hat. etwas ähnliches hatte ich zuvor schon einmal gehört, bei einer anderen recherche, von einem anderen richter, in einem anderen schwurgerichtssaal: die gesellschaft muss sich fragen, was hinzunehmen sie bereit sein muß, um nicht ihr wesen grundlegend zu verändern.

die angst von eltern um ihre kinder kenne ich und teile ich. die möglichkeit, dass wir sie nicht beschützen können, dass sie opfer werden, so verstehe ich die beiden richter inzwischen, ist eines der vielen lebensrisiken, vielleicht sogar das schrecklichste. wir können aber nur begrenzt auf diese risiken einfluß nehmen, sie verringern, ihnen aus dem weg gehen, wann immer wir eines erkennen, wir können sie aber niemals ganz ausschalten.

am selben tag wie den ehemaligen richter interviewte ich auch professor norbert leygraf, forensischer psychiater aus essen. gutachter, sagte er, würden auch aufgrund von verbrechen in der vergangenheit und der öffentlichen debatte immer vorsichtiger, wenn es um positive prognosen insbesondere von mehrfach-sexualstraftätern geht. ein beleg für die richtigkeit der meinung von fritz von beesten, wonach den gutachten eine unschärfe innewohne, die sie als grundlage einer solch folgenschweren entscheidung wie des freiheitsentzugs untauglich mache?

tatsächlich ordnen die gerichte nur in wenigen beantragten fällen die nachträgliche sicherungsverwahrung an. meist erfährt die öffentlichkeit nicht einmal von solchen verhandlungen. was aber bei karl d.? die richter des oberlandesgerichts in der bayerischen hauptstadt stehen unter dem eindruck der demonstrationen und der kritik von münchen bis heinsberg gegen die und an der entscheidung des landgerichts.

wenn die gesellschaft aber bereit ist hinzunehmen, dass unrecht begangen wird, es sogar fordert, um eine schlimme straftat zu verhindern, die vielleicht begangen wird - was macht das mit uns? was verlieren wir und welche türen öffnen wir?

und meinte nicht benjamin franklin auch das, als wohl er sagte, dass "wer die freiheit aufgibt, um sicherheit zu gewinnen, der wird am ende beides verlieren"? ist eine gesellschaft denn nicht nur dann wirklich frei, wenn sie dieses recht jedes einzelnen schätzt und schützt? ist ein staat nicht nur dann wirklich sicher, wenn gerichte die gesetze zuverlässig anwenden, unabhängig von moden und meinungen und die gesetze zuverlässig sind, unabhängig von moden und meinungen? wenn das münchner oberlandesgericht in der sache karl d. bis mitte april entscheidet, wird es darum gehen und dass es in diesem fall darum geht - es ist fast unerträglich bitter.


der beitrag in der aktuellen stunde des wdr-fernsehens ist hier zu sehen.

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