Donnerstag, 18. Juli 2013

Hard reset

Eigentlich ging es bei dem Interview um die Loveparade in Duisburg und die Folgen drei Jahre danach - und dann endete der Termin doch wieder einmal mit einem Gespräch über Prism, Tempora, Geheimdiensten und dem, was wir bereit sind hinzunehmen für eine bequeme, bunte online-Welt. So ist es oft derzeit und eigentlich ist das auch gut so.

Deutlich wird immer wieder, dass wir noch wenig wissen über die Details, aber drei Fakten sind klar - egal, was noch herauskommen wird:

1. Wir sind unfrei

Googlen sie doch bitte mal Unkrautvernichter...

Nein? Warum nicht? Weil man daraus auch Sprengsätze bauen kann und sie nicht wollen, dass irgendwo ein rote Lampe angeht? Nicht nur das möglicherweise ganze Heerscharen von Kleingärtnern im Netz der Unkrautvernichterbestellerjäger hängengeblieben sind und nun bei jedem Anschlag, jedem Verdacht auf einen Anschlag oder jeder Routine zur Erkennung der Möglichkeit des Verdachts auf einen Anschlag gescannt werden, weil ihnen auch noch der befreundete türkische Kollege ein "Salam" zum Ramadan per sms schickte; während ich schreibe kommt mir der Gedanke, dass diese Zeilen ja auch einmal gegen mich verwendet werden können. Weil ich "böse, böse USA", schreibe könnte mir trotz Visums- und Reisefreiheit nach, sagen wir, drei Stunden Warterei vor den Schaltern der Imigration an einem Flughafen ein Homeland Security Mitarbeiter die Einreise verweigern. Ob das nun so kommt weiß ich nicht, aber der Gedanke ändert vielleicht mein Tun. Vielleicht geht der Kleingärtner nun direkt in den Fachhandel, verzichtet auf den Preisvergleich und zahlt in bar, damit er nicht zurückverfolgt werden kann (was ihn - ans Ende gedacht - eigentlich sogar noch verdächtiger macht. Wenn er weder online bestellt, noch online weitersucht könnte er ja, in der Vorstellungswelt der Dienste, abgetaucht sein und sich die Chemikalie... ).
Vielleicht freut sich ja auch ein Buchhändler, weil wir "Shades of grey" nicht mehr online bestellen - was könnte der Chef denken und erfährt der das und wenn ja wie und wann? - sondern bei ihm am Tresen kaufen; da beginnt schon Konspiration...
Das Wissen um die Überwachung ändert unser Verhalten. Wir fahren langsamer, wenn an der Autobahn ein vergammelter aber mahnender Polizeiwagen steht, ohne Besatzung zwar doch exakt für den Zweck dort abgestellt, uns zu disziplinieren. Wir werfen keinen Fast-Food-Müll auf Plätze, die videoüberwacht sind, sondern nutzen brav und endlich Papierkörbe. Dagegen kann man eigentlich nichts haben. Aber ein Polizeiwagen oder eine Videokamera sind öffentlich, erkennbar und verhandelbar. Was aber bewirkt Argwohn, welche Macht hat das Unbehagen, die bloße Ahnung einer klandestinen Beobachtung?

2. Wir haben das nicht erlaubt

Ein achselzuckendes "Wir-haben-es-schon-immer-geahnt-das-war-doch-klar" ist keine Legitimation. Die milliardenfache Mißachtung des vielleicht altertümlichen aber geltenden Post- und Fernmeldegeheimnisses ist verboten und nicht hinzunehmen. Wir wurden übergangen, wir haben nicht zugestimmt. Nun müßten unsere Vertreter uns machtvoll verteidigen, eigentlich
Die Beteuerungen des "Wir haben nichts gewußt" sind nur schwer zu glauben. Beispiel Sauerlandgruppe, deren weit fortgeschrittene Anschlagspläne ja - so heißt es - erst dank US-amerikanischer Intelligence den deutschen Behörden offenbar wurden. Aus den ersten Informationen entstand ein Anfangsverdacht, es wurde weiter ermittelt, durchsucht, verhaftet, verhandelt und verurteilt. Aber ist es tatsächlich denkbar, dass weder BND, noch polizeilicher Staatsschutz, Staats- und Generalstaatsanwaltschaft und schließlich auch ein Gericht, das weitergehende Maßnahmen wie etwa eine Telefonüberwachung genehmigt (sic!), nicht fragt: Was sind das für Informationen, woher kommen die, wie wurden die gewonnen und wie zuverlässig sind sie? Dann hätte eine ganze Informationskette versagt - auf Justiz- und Polizeiseite - oder hat sie doch funktioniert? Haben die Dienstherren ihren Laden nicht so im Griff, dass operative Abteilungen wissen was erlaubt und verboten ist, sich an Recht und Gesetz halten und nicht machen was sie wollen, oder haben sie uns belogen? Beide Antworten sind nicht wirklich schön.

3. Wir leben in einem bereits veränderten Staat

Flächendeckende Überwachung heißt Generalverdacht gegen den Bürger, heißt Mißtrauen von oben gegen das Volk - und es heißt, dass dem Staat, so wie er sich präsentiert, nicht zu vertrauen ist, da er offenbar bereit ist, im Geheimen die aufgestellten Regeln zu brechen, zu beugen, zu umgehen. Ganz abgesehen von dem Legitimationsdefizit, das sich so im Diskurs mit anderen Nationen und Kulturen auftut - es ist nicht mehr der Staat, den wir gewählt haben.

Heute können wir - hoffentlich noch - davon ausgehen, dass unsere Daten nicht für andere Zwecke als etwa die Terrorabwehr verwendet werden und wir deshalb zumindest keine persönliche Nachstellung erleiden, wenn wir unser Leben leben. Da die Rahmenbedingungen des Gemeinwesens sich aber bereits verändert haben ist die Frage zwingend, wohin sich das entwickelt.

"Alles was zur Überwachung verwendet werden kann wird, wenn dem keine Gesetze entgegenstehen, zur Überwachung verwendet werden, unabhängig vom ursprünglichen Zweck", ist so in etwa der Wortlaut eines der "Gesetze" des Informationszeitalters, die Shoshana Zuboff, Okönomie-Professorin an der Harvard Universität, formulierte. Speichermedien, in denen Daten gesammelt und verfügbar gehalten werden, Rechner, die sie immer neu sortieren und Algorithmen, die daraus je nach Fragestellung zukünftiges Verhalten prognostizieren - längst Alltag im Netz und doch erst ein junge Technik.

Welche Informationen wird irgendwann wer über uns zusammenstellen, welche Fragen wird er stellen und welche Konsequenzen ergeben sich dann konkret aus den Antworten? Darf wer viel Heavy Metal hört und eigenartige Comics liest nicht in den Staatsdienst? Werde ich zum Ziel von Überprüfungen weil eine zufällige Bekanntschaft beschlossen hat, mit einer Panzerfaust Geldtransporter zu überfallen, was ich zwar nicht wußte, aber ich  habe seine Nummer im Handy habe und mit dem netten Kerl auch noch telefoniert? Wie verdächtig werde ich, weil ein unbestechlicher Algorithmus mich verdächtig macht - und wie komme ich da wieder raus? Welcher Schaden wird indes in der Zwischenzeit angerichtet und was bedeutet dieser Vorgang für die Zukunft?  

Wer einen Kreditanfrage stellt, wird automatisch bei der Schufa herabgestuft. Stellt er parallel drei Anfragen, weil er das günstigste Angebot aussuchen will und ihn der Bankangestellte nicht über den Unterschied zwischen Kreditanfrage und Konditionenabfrage aufgeklärt hat, wird er wahrscheinlich gar kein Darlehen bekommen. Ohne das etwas geschehen ist, ist seine Bonität verbraucht - die analoge Realität interessiert nicht, die Daten schaffen ihre parallele Welt und entscheiden.

Im Film "Contact" fragt Jodie Foster einen Techniker, warum sie eine Selbstmordkapsel mit in die außerirdische Apparatur bei ihrer Reise ins Unbekannte nehmen soll. Seine Antwort lautet so ungefähr:" Mir fallen ein Dutzend Gründe ein; was mir aber wirklich Angst macht ist das, was mir nicht einfällt."

Im Grunde geht es darum: wir wissen nicht, was wie wann wofür benutzt werden kann, benutzt werden und uminterpretiert wird. Auch können wir können eigentlich erstmal nicht mehr darauf vertrauen, dass ein fürsorglicher Staat es zu unserem Besten regelt.

Und nun? Weiter wie bisher mit bequemer kostenloser Software, in der wir unser Daten-Ich verschleudern? Das ist vielleicht am wenigsten verdächtig, gibt uns aber preis.

Also alles verschlüsseln, tarnen, verschleiern? Macht uns vielleicht extra verdächtig, zum konkreten Ziel und sorgt vielleicht nur für eine weitere Aufrüstung bei den Datensaugern.

Eigentlich aber lautet die Antwort: Darüber dürften wir uns keine Gedanken machen müssen oder wir müßten gefragt werden und zustimmen. Daran werden die Politiker zu messen sein, denn dafür sind sie gewählt.




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