Donnerstag, 22. Oktober 2009

gelächelte weisheit

heute habe sie nur 62 prozent erreicht, sagte die junge frau und ich verpasste vor verblüffung die abfahrt. nur 62 prozent von ihrem lächeln schenkte die japanerin an jenem morgen den mit dem unternehmen keihin kyuko reisenden. lächeln aber sei wichtig, sagte ihr chef, denn dann fühle sich der zuggast sicherer; außerdem wolle der kunde keine stimmungsschwankungen beim dienstleister und deshalb sei der smilescan ein rundum nützliches instrument. entlassen werde niemand, wenn die elektronische abtastung des gesichts einen niedrigen wert anzeigt. die junge frau findet die gesichtskontrolle gut, erzähltre sie dem interviewer, denn ein freundlicher mensch sei ja ein angenehmerer mensch und so arbeitet sie im bahnhof gern an ihren zügen.

schon interessant, die asiaten. vielleicht war ich auch deshalb so empfänglich für den radiobeitrag auf wdr5, weil ich mich gerade mit den 36 strategemen und dem zusammenhang zwischen alter chinesischer kriegskunst, deutschen großprojekten sowie dem aufeinandertreffen der kulturen beschäftigt hatte. es ging um das world conference center in bonn und - inspiriert durch einen beitrag im bonner generalanzeiger - um das gebaren asiatischer manager und geschäftsleute im beschriebenen historischen kontext. klingt irrsinnig klug, wer aber "ghost dog" von jim jarmusch gesehen hat wird milde lächeln. in diesem großartigen film lebt ein genauso großartiger forest whitaker als auftragskiller nach den regeln des hagakure, eines textes von einem samurai für andere samurai. der ist mitunter sehr bildhaft und stylisch; sogar ulrike folkerts zitierte einmal - nach meiner erinnerung - als karate-kämpfende kommissarin odenthal im tatort, dass fische allzu klares wasser meiden.

manche regeln - wie jene, täglich an den tod zu denken und sich vorzustellen, wie man zerstückelt oder von pfeilen durchbohrt wird - sind irgendwie seltsam, andere - wie bedingungslose loyalität - eher romantisch. gleichwohl aber finden sich viele anregende gedanken ("dinge von großer bedeutung sollte man gelassen angehen, dinge von geringer bedeutung mit ernsthaftigkeit" - so ungefähr). ähnlich verhält es sich mit den 36 strategemen, einer chinesischen zitatensammlung, um die als schlüssel zum erfolg ein bißchen viel, wie ich finde, gedöns gemacht wird. mancher spruch läßt sich problemlos mit volksweisheiten übersetzen ("der pflaumenbaum verdorrt anstelle des pfirsichbaums" klingt vielleicht besser als "ein bauernopfer bringen"; ob ich aber "mit leichter hand das schaf wegführe" oder "die gelegenheit beim schopfe packe" bleibt sich gleich). anderes ist die hohe schule der list für den kleinen oder großen imperator ("einen weg für einen angriff gegen guo ausleihen" etwa steht für eine eigenartige dankbarkeit: der transitgeber wird auf dem rückweg nach erfolgreicher schlacht einfach miterobert).

wie ich lernte, liegt hier eines der mißverständnisse zwischen den kulturen: der listige gilt etwa in china als weise, list ist ausdruck der könnerschaft; wer das nicht weiß und nicht selbst versucht, das beste herauszuholen, gilt vielleicht sogar als amateur; hierzulande ist das anders und dann droht, wie im fall des wccb, ein böses erwachen. wahlweise können westliche manager oder verhandlungsführer ja auch kurse belegen, in denen sie lernen a) mit den besonderheiten asiatischer verhandlungskunst umzugehen oder b) diese gleich selbst anzuwenden.

mehr noch als die bebilderung der strategeme und die zuordnung zum geschehen beschäftigte mich aber die frage, wie ein solcher beitrag aussehen muß, damit er aber auch überhaupt nicht als rassistisch mißverstanden werden kann. nach einer wortwörtlich durchwachten nacht (manche wichtigen dinge kann ich dann doch nicht gelassen erledigen) war mir klargeworden, wie fremd mir der gegenstand dieses beitrags tatsächlich ist, dass ich nicht urteilen, nicht verurteilen und schon gar nicht entschuldigen darf, sondern dass sich respekt nur im respektieren und anerkennen der andersartigkeit zeigt, selbst wenn ich sie nicht verstehe. sebastian kelbling, der selbst viele jahre in asien gelebt hat und bundesbedienstete aber auch firmenvertreter mit den eigenheiten und mentalitäten des fernen ostens vertraut macht, spricht in dem film vom "wertschätzenden vergleich". mag ja sein, dass gerichte irgendwann tatsächlich rechtsbruch feststellen; er aber glaubt, dass fehler schon gemacht wurden, bevor verträge unterzeichnet waren und ich bin geneigt ihm zu glauben.

denn ein volk, dass mittels einer maschine die intensität des lächelns in prozent-punkten messen und an ihr arbeiten kann scheint mir weit voraus.


über den smilescan berichtete auch die süddeutsche zeitung

den beitrag über die 36 strategeme gibt es in der
wdr-mediathek , der gegenstand ist mal wieder in wikipedia beschrieben.

hier ist der link zum einstieg in die wirklich gut recherchierten berichte um das world confernce center im bonner generalanzeiger

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