Dienstag, 1. September 2009

selbst limitierend

die kurve ist außergewöhnlich. annähernd rhythmisch wiederkehrend einzelne spitzen, dann geht es wieder runter, das ganze 30 minuten lang. empfangen von einem radioteleskop hätten sich seti-forscher den verlauf vermutlich in marmor meißeln lassen, an die wand gehängt und beim betrachten ehrfürchtig "kontakt"gemurmelt. nun kamen aber die daten nicht aus den tiefen des alls auf den rechner sondern via usb von meiner pulsuhr und haben mir den schnitt meines langen sonntagslaufs final versaut (eine zwischenzeitliche manuelle pulskontrolle war übrigens unauffällig). ob es sich um kosmische strahlung, sonnenwinde, schnöde interferenzen durch kabel im boden, die brustgurte entgegenkommender (wieso war nur ich linksrum unterwegs?) läufer, mountainbiker, walker oder sonstwas handelte ist dabei - eigentlich - egal. am ende heißt das elektronische ergebnis: zu langsam für den puls. dabei hatte ich mir diese strecke für den letzten längeren lauf vor dem halbmarathon am wochenende extra deshalb ausgesucht, weil sie hübsch flach ist.



ein abgrund an fragen tat sich auf: hat jener kollege doch recht von wegen alter, ehrgeiz und ruinierter gesundheit für den (kaum erreichbaren) 18. platz der altersklasse? oder war es einfach doch zu heiß? werde ich wetterfühlig und das auf und ab der temperaturen sowie die arbeitswoche haben mich zermürbt? war das dreimonatige training zu hart oder zu leicht, bin ich übertrainiert, habe ich zuwenig getan, weil acht kilometer in der summe der vorbereitungskilometer fehlen? ist das ziel überhaupt noch erreichbar?

so griff ich rat- und trostsuchend zur "läuferbibel". eigentlich sollte ich unausweichlich den naturgesetzen und dr. marquardt, dem autoren, folgend einem leistungshöhepunkt entgegensehen, nach dem ehernen gebot des tapering am vierten tage vor der bewährung das fein abgestimmte system ein letztes mal hochfahren, am wochenende alles in grund und boden laufen, was nicht vor mir ins ziel kommt und bis dahin, an der unsichtbaren kette der disziplin zerrend, die laufschuhe ignorieren und nur mühsam gebändigt, unausgelastet aber vollständig erholt meiner näheren umwelt auf die nerven gehen.

wenn an diesem tag etwas von einer anderen welt war, dann diese prophezeiung. die beine schwer, die waden hart lag ich ermattet auf dem sofa und blätterte - den duft von pferdebalsam in der nase - in dem teil des buches, der mir in meinem jämmerlichen zustand angemessen schien: verbandskasten (s. 459 ff.).

während ich so seite für seite, symptom für symptom und beispiel für beispiel las besserte sich meine laune - es geht also noch schlimmer, dachte ich mir. im abschnitt fersensporn fand ich zwei worte, die mich seither beschäftigen: "selbst limitierend" sei die krankheit oft, in achtzig prozent der fälle verschwänden die symptome binnen eines jahres "mit oder ohne therapie". letzteres mag ein trost sein für betroffene; selbst limitierend aber ist mantra.

wir sind unter uns und so kann ich es ja erzählen; wenn ich morgens aufwache, zähle ich meine herzschläge. wenn ich auf der linken seit liege, wird es schwer den ruhepuls zu bestimmen, weil der wecker mit der sekunden-anzeige rechts steht. nun bin ich direkt nach dem aufwachen von verminderter geistiger leistungsfähigkeit aber für eins, zwei, drei... reicht es; die frage allerdings, ob ich durch ein für das ablesen der uhr notwendiges umdrehen das ergebnis der pulsmessung verfälsche, weil ich mich ja bewege (es heißt doch ruhepuls), überfordert mich in dem moment immer wieder aufs neue, sodaß ich zumeist starr liegenbleibe. und genau in diesen momenten fallen mir dann wieder solche dinge ein wie selbst limitierend.

um es abzukürzen - hier nur die essenz: es geht nicht um meisterschaft, es geht nicht um bestzeit und schon gar nicht um den hart umkämpften 18. platz der altersklasse. es geht nicht um die pace und nicht um hohe wangenknochen. am ende des laufs steht keine trophäe, kein heldengesang am feuer für äonen. es geht darum zu wissen und anzunehmen, was mich selbst limitiert; es geht darum, das gute nicht zu riskieren, indem ich meine grenzen überschreite. am ende geht es beim laufen darum, mir sagen zu können, dass ich mich aufrichtig und ernsthaft bemüht habe. und darin liegt möglicherweise zufriedenheit, ein stiller, tiefer lohn.

ob das jetzt ein plötzlicher anfall von altersmilde war, das vorformulieren einer ausrede für versagen am sonntag - ich weiß es nicht; heute morgen wenigstens, als der dämmernde tag noch alles versprach, schien es wahr.

also drehte ich mich um, blickte die uhr an, lauschte dem gleichförmigen, langsamen pulsschlag und zählte die 46 schläge meines herzens in dieser minute. so schwierige sachen wie nach 15 sekunden mit vier multiplizieren - wie gesagt, das überfordert mich so früh am morgen dann doch.

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