Dienstag, 2. Juni 2009

ein lächeln in der hölle

"die hölle," sagte sam rajasuriar, "sie ist nicht heiß, es brennen dort keine feuer. die hölle ist ein kalter ort, dunkel, still, voller angst - und du bist ganz allein." es war eine morgenandacht, damals im dezember 2004, wenige tage, nachdem der große tsunami auch sri lanka heimgesucht hatte. kameramann holger uhl und ich waren mit ärzten der hilfsorgansiation humedica in den norden gefahren, auf die halbinsel jaffna, ins gebiet der tamilen. sam rajasuriar ist pastor, betreibt mit humedica-unterstützung ein waisenhaus und mobile klinken. ein großer mann, hager, mit lebendigen augen, der fähigkeit mitreißend zu lächeln, zu sprechen und von einer menschlichen wärme und zugewandtheit, wie ich sie oft bei kirchenmännern gespürt habe.

an sam rajasuriar erinnerte ich mich, als ich gerade in einem kaum genutzten fach meines kamera-rucksacks eine alte ausgabe von „the economist“ fand: the silent tsunami, der stille tsunami hatte die zeitschrift im april 2008 getitelt. ich hatte die ausgabe in atlanta gekauft, bei einem zwischenstopp auf dem weg nach haiti, wo ich einen beitrag über die folgen der gestiegenen lebensmittelpreise drehte, über ein landwirtschaftliches entwicklungshilfeprojekt der kindernothilfe in den bergen und über humedica-mediziner, die in den slums eine mobile klinik unterhielten. gesundheit - die, sagte dr. markus hohlweck aus bonn, sei mit das erste, woran in notzeiten gespart würde. inzwischen sind die lebensmittelpreise wieder gesunken, die not auf haiti wird etwas weniger verzweifelt sein, die welt hat andere themen.

im schrecken ist auch frieden

aber diese zeitschrift holte die erinnerung an den verheerenden tsunami, der asien und teile der afrikanischen ostküste überschwemmt hatte, zurück. wir waren am zweiten weihnachtsfeiertag nach sri lanka geflogen, von colombo weitergereist nach jaffna, in den norden, in tamilen-gebiet. mg-stellungen zu beiden seiten der landebahn des flughafens, ein riesiges areal, umzäunt, gesichert, ein soldat, der uns von der baracke, in der wir abgefertigt wurden, an den rand des sperrgebiets brachte. er auf dem beifahrersitz des wagens, die kalaschnikow zwischen seinen beinen. wir fuhren vorbei an häusern, überwuchert, zerstört, voller einschußlöcher.

es war bedrückend, aber die menschen waren, wie so oft in krisengebieten, nahe beeinander. die gewalt der katastrophe hatte sie weich gemacht, achtsam, dem leben etwas friedfertiges gegeben. vielleicht war es die beliebigkeit, mit der das wasser seine opfer gefunden hatte, die alle argumente von gut und schlecht, gerecht und gestattet, der teilung, des kampfes, des tötens ausgehöhlt hatte. vielleicht war in dem erleben existenzieller machtlosigkeit etwas verbindendes. und so gab es in diesen wenigen tagen immer wieder kleine gesten und eine hoffnung: miteinander weiter. was der trauer gelang – es kann auch dem willen gelingen, sagte ein mitarbeiter von humedica in colombo.

am tag unserer abreise bestiegen wir einen hubschrauber der sri-lankischen armee, um luftaufnahmen von der zerstörten küste zu drehen. sam rajasuriar hatte den kontakt mit dem kommandanten vermittelt. vielleicht auch das etwas besonderes an dem pastor, dass er tröstend seine hand auf die schulter eines verletzten kindes in einer klink legen und kurze zeit später mit einem hohen offizier telefonieren konnte, dass er die fischer kannte, deren boote zerschmettert hunderte meter vom strand entfernt im landesinneren lagen, und den chef der örtlichen polizei. der hubschrauber, der nun bereitstand sollte uns nach manalkadu und wieder zurückbringen.

in dem kleinen ort am strand hatten wir für unsere reportage gedreht. wir hatten bewohner gefilmt und interviewt, die uns zeigten, wie hoch das wasser in ihren häusern gestiegen war, die uns erzählten, wie viele angehörige sie verloren haben, die nun die reste ihrer habe auf lastwagen luden und fortfuhren. wir hatten mit soldaten gesprochen, die in einem wachposten auf einem damm saßen und vom tsunami erzählten: wie sie die menschen sahen, die zwischen den dünen vor dem wasser landeinwärts flohen, wie sie ihnen zugerufen haben, nach oben zu laufen, das aber nur wenige kamen, wie dann schießlich einige dutzend auf der düne standen und überlebten auf den gräbern ihrer angehörigen. denn der hügel war der friedhof von manalkadu.

hilfe für familien

wir sahen die gräber wieder aus der luft, die nun leeren häuser, wir sahen sie zwischen dem lauf eines maschinengewehrs, des patronengurts und des helms eines der beiden bordschützen, der in jeder der offenen türen des amerikanischen bell-helikopters saß. mit diesem bild im kopf flog ich zurück nach deutschland. es vergingen nur wenige wochen, bis die zarten ansätze des dialogs zwischen regierung und tamil tigers (ltte) verdorrten. ein jahr später, zum jahrestag des tsunami, fragte niemand mehr nach der entwicklung des konflikts; berichtet wurde aus thailand, wo die angehörigen getöteter touristen linderung ihres leids in gedenkgottesdiensten suchten, aus indonesien und von spendengeldern, die immer noch auf konten schlummerten.

es ist erst ein paar tage her, dass tamilen vor dem düsseldorfer landtag gegen die inzwischen mit der niederlage der ltte beendeten offensive der armee demonstrierten. sie sind inzwischen gegangen. sam rajasuriar, das sagte mir steffen richter von humedica, bemüht sich in flüchtlingslagern der halbinsel jaffna um hilfe für familien. welche hölle sie in den wochen der kämpfe durchlebten – ich weiss es nicht. allein aber, da bin ich sicher, lässt der hagere mann sie nicht.


der jüngste artikel über humedica auf sri lanka und die arbeit von sam rajasuriar ist auf der humedica-homepage zu finden.

1 Kommentar:

  1. Es ist diese Form der Emotion, die journalistische Arbeit authentisch macht und relevant. Eine Emotion, die auf Wahrheit und Transparenz fokussiert und basiert, nicht auf Quote (der sich kaum einer der Kolleginnen und Kollegen noch erwehren kann) oder andere wirtschaftlichen und politischen Zwänge.

    Danke für diesen Beitrag, weil er die unbedingte Notwendigkeit unserer Arbeit dokumentiert und gleichzeitig darauf verweist, dass es eine Wertigkeit von Problemen gibt - auch in Zeiten einer selbst verschuldeten Weltwirtschaftskrise.

    Ich erhoffe und erbete Aufmerksamkeit, Sensibilität und Empathie bei den Menschen. Ob motiviert durch persönliche Überzeugungen oder christlichen Glauben: wir sollten einander nicht vergessen. Ihr Text trägt sicherlich dazu bei.
    Und sicher auch zur verbesserten Reputation unserer Berufsgruppe, auch wenn das in diesem Kontext sicherlich keine Rolle spielt.

    Alles Gute und herzliche Grüße
    Steffen Richter

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