Eigentlich ging es bei dem Interview um
die Loveparade in Duisburg und die Folgen drei Jahre danach - und
dann endete der Termin doch wieder einmal mit einem Gespräch über
Prism, Tempora, Geheimdiensten und dem, was wir bereit sind
hinzunehmen für eine bequeme, bunte online-Welt. So ist es oft
derzeit und eigentlich ist das auch gut so.
Deutlich wird immer wieder, dass wir
noch wenig wissen über die Details, aber drei Fakten sind klar -
egal, was noch herauskommen wird:
1. Wir sind unfrei
Googlen sie doch bitte mal
Unkrautvernichter...
Nein? Warum nicht? Weil man daraus auch
Sprengsätze bauen kann und sie nicht wollen, dass irgendwo ein rote
Lampe angeht? Nicht nur das möglicherweise ganze Heerscharen von
Kleingärtnern im Netz der Unkrautvernichterbestellerjäger
hängengeblieben sind und nun bei jedem Anschlag, jedem Verdacht auf
einen Anschlag oder jeder Routine zur Erkennung der Möglichkeit des
Verdachts auf einen Anschlag gescannt werden, weil ihnen auch noch
der befreundete türkische Kollege ein "Salam" zum Ramadan
per sms schickte; während ich schreibe kommt mir der Gedanke, dass
diese Zeilen ja auch einmal gegen mich verwendet werden können. Weil
ich "böse, böse USA", schreibe könnte mir trotz Visums-
und Reisefreiheit nach, sagen wir, drei Stunden Warterei vor den
Schaltern der Imigration an einem Flughafen ein Homeland Security
Mitarbeiter die Einreise verweigern. Ob das nun so kommt weiß ich
nicht, aber der Gedanke ändert vielleicht mein Tun. Vielleicht geht
der Kleingärtner nun direkt in den Fachhandel, verzichtet auf den
Preisvergleich und zahlt in bar, damit er nicht zurückverfolgt
werden kann (was ihn - ans Ende gedacht - eigentlich sogar noch
verdächtiger macht. Wenn er weder online bestellt, noch online
weitersucht könnte er ja, in der Vorstellungswelt der Dienste,
abgetaucht sein und sich die Chemikalie... ).
Vielleicht freut sich ja auch ein
Buchhändler, weil wir "Shades of grey" nicht mehr online
bestellen - was könnte der Chef denken und erfährt der das und wenn
ja wie und wann? - sondern bei ihm am Tresen kaufen; da beginnt
schon Konspiration...
Das Wissen um die Überwachung ändert
unser Verhalten. Wir fahren langsamer, wenn an der Autobahn ein
vergammelter aber mahnender Polizeiwagen steht, ohne Besatzung zwar
doch exakt für den Zweck dort abgestellt, uns zu disziplinieren. Wir
werfen keinen Fast-Food-Müll auf Plätze, die videoüberwacht sind,
sondern nutzen brav und endlich Papierkörbe. Dagegen kann man
eigentlich nichts haben. Aber ein Polizeiwagen oder eine Videokamera
sind öffentlich, erkennbar und verhandelbar. Was aber bewirkt
Argwohn, welche Macht hat das Unbehagen, die bloße Ahnung einer
klandestinen Beobachtung?
2. Wir haben das nicht erlaubt
Ein achselzuckendes
"Wir-haben-es-schon-immer-geahnt-das-war-doch-klar" ist
keine Legitimation. Die milliardenfache Mißachtung des vielleicht
altertümlichen aber geltenden Post- und Fernmeldegeheimnisses ist
verboten und nicht hinzunehmen. Wir wurden übergangen, wir haben
nicht zugestimmt. Nun müßten unsere Vertreter uns machtvoll
verteidigen, eigentlich
Die Beteuerungen des "Wir haben
nichts gewußt" sind nur schwer zu glauben. Beispiel Sauerlandgruppe,
deren weit fortgeschrittene Anschlagspläne ja - so heißt es - erst
dank US-amerikanischer Intelligence den deutschen Behörden offenbar
wurden. Aus den ersten Informationen entstand
ein Anfangsverdacht, es wurde weiter ermittelt, durchsucht,
verhaftet, verhandelt und verurteilt. Aber ist es tatsächlich
denkbar, dass weder BND, noch polizeilicher Staatsschutz, Staats- und
Generalstaatsanwaltschaft und schließlich auch ein Gericht, das
weitergehende Maßnahmen wie etwa eine Telefonüberwachung genehmigt
(sic!), nicht fragt: Was sind das für Informationen, woher kommen
die, wie wurden die gewonnen und wie zuverlässig sind sie? Dann hätte eine ganze Informationskette versagt -
auf Justiz- und Polizeiseite - oder hat sie doch funktioniert? Haben die
Dienstherren ihren Laden nicht so im Griff, dass operative
Abteilungen wissen was erlaubt und verboten ist, sich an Recht und
Gesetz halten und nicht machen was sie wollen, oder haben sie uns
belogen? Beide Antworten sind nicht wirklich schön.
3. Wir leben in einem bereits
veränderten Staat
Flächendeckende Überwachung heißt
Generalverdacht gegen den Bürger, heißt Mißtrauen von oben gegen
das Volk - und es heißt, dass dem Staat, so wie er sich präsentiert,
nicht zu vertrauen ist, da er offenbar bereit ist, im Geheimen die
aufgestellten Regeln zu brechen, zu beugen, zu umgehen. Ganz
abgesehen von dem Legitimationsdefizit, das sich so im Diskurs mit
anderen Nationen und Kulturen auftut - es ist nicht mehr der Staat,
den wir gewählt haben.
Heute können wir - hoffentlich noch -
davon ausgehen, dass unsere Daten nicht für andere Zwecke als etwa
die Terrorabwehr verwendet werden und wir deshalb zumindest keine
persönliche Nachstellung erleiden, wenn wir unser Leben leben. Da
die Rahmenbedingungen des Gemeinwesens sich aber bereits verändert
haben ist die Frage zwingend, wohin sich das entwickelt.
"Alles was zur Überwachung
verwendet werden kann wird, wenn dem keine Gesetze entgegenstehen,
zur Überwachung verwendet werden, unabhängig vom ursprünglichen
Zweck", ist so in etwa der Wortlaut eines der "Gesetze"
des Informationszeitalters, die Shoshana Zuboff, Okönomie-Professorin
an der Harvard Universität, formulierte. Speichermedien, in denen
Daten gesammelt und verfügbar gehalten werden, Rechner, die sie
immer neu sortieren und Algorithmen, die daraus je nach Fragestellung
zukünftiges Verhalten prognostizieren - längst Alltag im Netz und
doch erst ein junge Technik.
Welche Informationen wird irgendwann
wer über uns zusammenstellen, welche Fragen wird er stellen und
welche Konsequenzen ergeben sich dann konkret aus den Antworten?
Darf wer viel Heavy Metal hört und eigenartige Comics liest nicht in
den Staatsdienst? Werde ich zum Ziel von Überprüfungen weil eine
zufällige Bekanntschaft beschlossen hat, mit einer Panzerfaust
Geldtransporter zu überfallen, was ich zwar nicht wußte, aber ich habe seine Nummer im Handy habe und mit dem netten Kerl auch noch telefoniert?
Wie verdächtig werde ich, weil ein unbestechlicher Algorithmus mich
verdächtig macht - und wie komme ich da wieder raus? Welcher Schaden
wird indes in der Zwischenzeit angerichtet und was bedeutet dieser
Vorgang für die Zukunft?
Wer einen Kreditanfrage stellt, wird
automatisch bei der Schufa herabgestuft. Stellt er parallel drei
Anfragen, weil er das günstigste Angebot aussuchen will und ihn der
Bankangestellte nicht über den Unterschied zwischen Kreditanfrage
und Konditionenabfrage aufgeklärt hat, wird er wahrscheinlich gar
kein Darlehen bekommen. Ohne das etwas geschehen ist, ist seine
Bonität verbraucht - die analoge Realität interessiert nicht, die
Daten schaffen ihre parallele Welt und entscheiden.
Im Film "Contact" fragt Jodie
Foster einen Techniker, warum sie eine Selbstmordkapsel mit in die
außerirdische Apparatur bei ihrer Reise ins Unbekannte nehmen soll.
Seine Antwort lautet so ungefähr:" Mir fallen ein Dutzend
Gründe ein; was mir aber wirklich Angst macht ist das, was mir nicht
einfällt."
Im Grunde geht es darum: wir wissen
nicht, was wie wann wofür benutzt werden kann, benutzt werden und
uminterpretiert wird. Auch können wir können eigentlich erstmal
nicht mehr darauf vertrauen, dass ein fürsorglicher Staat es zu
unserem Besten regelt.
Und nun? Weiter wie bisher mit bequemer
kostenloser Software, in der wir unser Daten-Ich verschleudern? Das
ist vielleicht am wenigsten verdächtig, gibt uns aber preis.
Also alles verschlüsseln, tarnen,
verschleiern? Macht uns vielleicht extra verdächtig, zum konkreten
Ziel und sorgt vielleicht nur für eine weitere Aufrüstung bei den
Datensaugern.
Eigentlich aber lautet die Antwort:
Darüber dürften wir uns keine Gedanken machen müssen oder wir
müßten gefragt werden und zustimmen. Daran werden die Politiker zu
messen sein, denn dafür sind sie gewählt.