Es war ein anrührender Moment der Stille. Im Saal des Goethe-Instituts in der Pufferzone zwischen dem türkischen nördlichen Teil Zyperns und dem griechischem Süden hängen Bilder aus beiden Teilen des Landes. Es geht nicht um Kunst, es geht um Schicksale: Über 1.600 Menschen werden seit der Besetzung durch die Türkei und den Kämpfen im Jahr 1974 noch vermisst – und sie sind auf beiden Seiten nicht vergessen.
Das Bild, das uns Björn Luley, der Leiter der deutschen Bildungseinrichtung, neben dem Hauptquartier der UN-Truppen zeigt, erzählt von einer alten Frau, die noch immer jeden Tag die Schuhe ihres verlorenen Mannes putzt und neben ihre stellt. Er soll sie tragen können, wenn er zurückkommt. Ein anderes zeigt einen Mann, der neben einer Kiste sitzt. Darin sind ein Zettel, etwas Sand und ein paar Knochen; es sind die Überreste seines Bruders.
39 Jahre ist es her, als etwa 300.000 griechischstämmige Zyprer vertrieben wurden, alles verloren haben und zwischen dem geteilten Nikosia und Paphos im Westen neu angefangen haben.
"Wir sind ins Bett gegangen, fühlten uns sicher und geborgen und am nächsten Morgen brach die Welt zusammen" - diesen Satz sagen viele Zyprer. Der deutsche Chirurg Dr. Nic Jung kann seine Empörung nur schwer unterdrücken über ein Europa, das nun ausgerechnet dieses Land im Stich lasse. Er ist mit einer Zyprerin aus Famagusta verheiratet, jenem Teil Zyperns, der vor 1974 das Zentrum des Tourismus war, aber seither im türkischen Norden liegt. Sie und zehntusende andere haben sich ein neues Leben aufgebaut, sagt er, und nun werde all das erneut zerstört.
Es gibt einen großen öffentlichen Sektor in Zypern und in den Banken arbeiten angeblich viele Angestellte, die ihren Job eher besonderen Beziehungen als besonderen Qualifikationen verdanken. Es gibt die niedrigen Steuern, wegen derer auch dutzende deutsche Reeder ihre Büros in Limassol haben. Sie machen seit Jahrzehnten gute Geschäfte, wie es seit Anfang der 1990er-Jahre auch die inzwischen 30.000 Russen in dieser Stadt tun.
Spätestens, wenn Zypern die Unternehmenssteuersätze wie erwartet von 10 auf 12,5 Prozent anhebt, werden viele gehen, glaubt Günther Bodenstein. Er lebt seit 29 Jahren hier, hat als Reederei-Inspektor gearbeitet und ist mit seiner Frau geblieben. "Neben all den Investoren, Firmen-Anwälten und Wirtschaftsagenturen gibt es aber auch die Menschen, die einfach nur viel und hart gearbeitet und gespart haben", sagt er. Oft sind es Rücklagen für die Ausbildung der Kinder. Die Zahl der Privatschulen ist hoch, auch viele Eltern aus dem Mittelstand haben mehrere Jobs, um die 2.000 bis 8.000 Euro im Jahr bezahlen zu können. Viele andere Kinder gehen nach dem regulären Unterricht in staatlichen Schulen nachmittags in private Institute. Zahlreiche Zyprer studieren im Ausland, auch in Deutschland. Das Bildungsniveau, sagt Bodenstein, ist hoch.
Auch dafür haben viele ein Stück Land verkauft, das Geld angelegt und einen Großteil nun genauso verloren, wie so mancher deutsche, britische oder skandinavische Rentner, der hier seinen Lebensabend verbringen will. Bodenstein selbst hörte auf jene Freunde, die ihn schon vor zwei Jahren vor dem drohenden Kollaps warnten. Er transferierte sein Geld zurück auf Konten in der Bundesrepublik und ließ sich von anderen Deutschen belächeln, weil er auf die hohen Zinsen in Zypern verzichtete. Es war die richtige Entscheidung; die andere die menschliche.
"Wenn es ein Volk gibt, das diese Not bewältigen wird, dann sind es die Zyprer," sagt Antonis Papakyriakou, Manager eines Hotels in Larnaca, "wenn die Chance eins zu einer Million ist, werden wir sie nutzen." Der Tourismus - und diese Meinung hat er nicht allein - wird eine entscheidende Rolle beim Neuanfang spielen. Die Gastfreundschaft der Zyprer zumindest hat nicht gelitten unter den gegenseitigen Schuldzuweisungen und Beleidigungen der Politiker und mancher Medien.
Nirgends spürten wir Anfeindungen oder Vorbehalte. Wir erlebten vielmehr Menschen, die nach dem Schock nachdenklich wurden, die zur Arbeit gehen – wenn sie sie noch haben – und versuchen, ihren Alltag zu bewältigen. Die Besonnenheit der Zyprer am Tag, als die Banken nach rund zwei Wochen wieder öffneten, war nicht selbstverständlich und wir fragten uns, wie es woanders gewesen wäre.
Der Tag ist diesig auf Zypern. Am Strand von Larnaca weht ein kühler Wind. Unser Bild von Zypern hat viele Farben bekommen. Es ist ein Bild, das uns nachdenklich macht.
Dieser Text ist so auch auf der Seite der Aktuellen Stunde des WDR-Fernsehens erschienen
Montag, 1. April 2013
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